Ich glaub, ich lieb euch alle
Hand zur Hintertür rausgeschossen. Er meint es ernst. Seine Augen sind ganz weit aufgerissen, und er blinzelt unter schweren Augenlidern hervor, so als würde er gerade erst aufwachen und nicht verstehen, was da in seinem Garten vor sich geht.
» Hey, Mr Carter«, meint EJ, als wäre er nur mal eben so vorbeigekommen, um Hallo zu sagen.
» Was zum Teufel geht hier draußen vor?«
» Nick hat mich seinen Wagen fahren lassen, Dad!«, sage ich voller Stolz.
» Das sehe ich. Warum hast du das getan?«, will Dad wissen.
» Äh, nun, weil er plötzlich total müde wurde und eingeschlafen ist«, erwidere ich.
» Wo ist Lynn?«, erkundigt er sich.
» Oh, sie sitzt hier hinten drin«, erklärt EJ. » Aber sie schläft, also pssst.«
Als Lynn ihren Namen hört, hebt sie den Kopf von ihrem Bett im Truck hoch. Sie ist dreckverschmiert, ihre Nase blutet und Strohhalme stecken in ihrem Haar. Sie hat offensichtlich keinen Plan, was hier geschieht, daher lallt sie: » Aaaahhh, heeeey, Daddy!!!« Dann stolpert sie aus ihrem Bett und wankt ins Haus.
» Du bist ja betrunken!«, brüllt Dad sie an. (Meinem alten Herrn entgeht aber auch wirklich gar nichts.)
» Ssshhh!«, macht Lynn aus dem Haus raus.
Er dreht sich zu mir um und fragt: » Was zum Teufel geht hier vor?«
Ich zucke mit den Schultern und murmle: » Ich bin doch nur mit dem Truck gefahren.«
» Seit wann kannst du denn ein Auto fahren?«, will er wissen.
» Kann er ja gar nicht, Mr Carter. Er ist ein richtig schlechter Fahrer!«, platzt es aus EJ raus.
Mein Dad schüttelt den Kopf, während er seinen total zerstörten Vorgarten, den ruinierten Zaun und den rauchenden Truck, der auf seinem Hinterhof vor sich hin zischt, in Augenschein nimmt. Dann seufzt er und sagt: » Gütiger Gott, also…«
Womöglich war er kurz davor gewesen, etwas in die Richtung zu sagen, dass man ja alles reparieren kann und dass das Wichtigste ist, dass alle wieder heil heimgekommen sind und dass sein Sohn ein Held ist. Vielleicht war es das, was er sagen wollte, in dem Moment, als plötzlich das Polizeiauto mit Blaulicht angefahren kommt.
» Suchen die vielleicht nach dir?«, zischt er wütend.
» Woher soll ich wissen, wonach die suchen? Ich war doch im Auto unterwegs!«, erwidere ich.
Er wirft die Taschenlampe quer über den Rasen und bricht den Golfschläger über seinem Knie entzwei. Er bebt vor Zorn, könnte aber auch die Kälte sein. » Verdammt! Ich weiß nicht, was ich mit euch tun soll! Vor einem Monat oder so wart ihr noch völlig brave Kinder! Was zum Teufel ist bloß los mit dir, mein Sohn?«
» Ehrlich, ich hab keine Ahnung«, erwidere ich. » Es ist nur so, dass plötzlich alles viel schwieriger ist, als ich gedacht hätte, und ich vermassle im Moment einfach alles! Mein Leben ist das reinste Scheißchaos… Ich mag keine Mädchen mehr… Und ich schwänze alle meine Unterrichtsstunden, außer den Theaterkurs…«
» Moment mal, d-d-du magst keine Mädchen?« Er sieht aus, als hätte er soeben eine ultrascharfe Habanero-Chili gegessen, als er fragt: » D-d-du denkst also, du bist schwul?«
Mir klappt die Kinnlade runter und EJ krümmt sich vor Lachen. » Ha-Haaaaa!!!«
» Verschwinde von hier, E«, schnauze ich ihn an.
» Und ich dachte, ich dürfte über Nacht bleiben… Möchtest du nicht mit mir kuscheln?« Er kriegt sich nicht mehr ein.
Verärgert weise ich ihm den Weg nach Hause und er verschwindet kichernd in der Dunkelheit.
Dad fährt fort: » Nicht, nicht dass du denkst, es wäre irgendwie falsch, schwul zu sein, mein Sohn… Deine Mutter und ich, w-w-wir lieben dich, ganz gleich, was kommt.«
» Wirklich? Moment mal, warum?! Warum denkst du, dass ich schwul bin?«, frage ich.
» Weiß ich nicht, du hast doch gerade gesagt, dass du auf Theater stehst und keine Mädchen mehr magst«, schnauzt er mich an.
» Hab ich das? Nun, ich könnte mir schon vorstellen, dass ich schwul bin. Meine Freunde sagen die ganze Zeit zu mir, dass ich schwul bin, und ich geh wirklich gern in den Theaterkurs, daher besteht durchaus die Möglichkeit. Obwohl es noch zu früh ist, das mit Sicherheit zu sagen, denke ich… Ich bin doch erst vierzehn. Aber was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass mich die Mädchen definitiv nicht mehr mögen.«
Er kratzt sich am Kopf und überlegt, wie dieses Gespräch so sehr außer Kontrolle geraten konnte. Wir zittern inzwischen beide, denn er hat viel zu wenig an und ich bin ganz hibbelig von den zwei Litern Mountain Dew. Schließlich
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