Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Nächste Woche.«
Am Montagnachmittag stopfe ich gerade dreckige Wäsche in die Waschmaschine, als das Telefon klingelt. Es zeigt die Nummer unserer zukünftigen Nachbarn an, der Fußballeltern – Holger ist dran.
»Hallo Julia«, sagt Holger, »du warst heute nicht da, oder? Ich wollte dich mal auf dem Laufenden halten, was hier so passiert. Gerade ist einer von euren Dachbalken in unsere Fassade gekracht, sieht nicht so gut aus.«
Der Dachbalken sei aus großer Höhe aus der Baggerschaufel gerutscht und in der Lärchenholzverkleidung ihres neuen Anbaus gelandet, dabei seien zahlreiche Latten zu Bruch gegangen und der Außenputz am unverkleideten Teil ihres Anbaus beschädigt worden.
»Oh«, sage ich.
Gute Baufirmen und Handwerker, das lerne ich in den nächsten Monaten, zeichnen sich nicht dadurch aus, dass ihnen keine Fehler unterlaufen, sondern dadurch, dass sie ihre Fehler bereitwillig einräumen und zeitnah beheben. Gute Nachbarn erkennt man daran, dass sie weiter freundlich grüßen, auch wenn ihr häuslicher Friede durch die Fehler der Handwerker, die man beschäftigt, aufs Unerfreulichste in Mitleidenschaft gezogen wird. Wir haben Glück, wir haben eine gute Abbruchfirma und gute Nachbarn erwischt. Herr Yildirim begutachtet die lädierte Holzverkleidung, er schickt sofort einen Arbeiter, der die Schäden am Putz behebt, und informiert seinen Chef, der nicht nur zusichert, man werde die Kosten für die Reparatur der Verkleidung übernehmen, sondern das Geld tatsächlich schnell überweist, nachdem Holger die Rechnung geschickt hat.
Eine Woche nach dem Geburtstag bin ich – natürlich vormittags – wieder mit Herrn Yildirim verabredet, zur Abnahme des geräumten Grundstückes. Auf dem Grundstück ist kein einziger Ziegelstein mehr zu finden, nicht einmal eine leere Zigarettenpackung liegt herum. Die Hecke steht noch, und in der Mitte befindet sich wie abgemacht eine riesige Grube, die »grob planierte und fünfundvierzig Grad geböschte« Baugrube: unser Baugrundstück. Auf den ersten Blick sieht alles nach einem perfekten Abriss aus. Auf den zweiten Blick nicht.
»Wieso steht die Mauer noch?«, frage ich.
Herr Yildirim hat vergessen, die Backsteinmauer abzureißen, die zur Straße hin vor der großen Thujahecke steht. Vielleicht, weil man sie vom Grundstück aus nicht sieht?
»Frau Karnick«, Herrn Yildirims Lächeln wirkt plötzlich ein bisschen gequält, »von Mauer steht nichts im Auftrag, sehen Sie!«
Im Vertrag steht, dass »alle auf dem Grundstück befindlichen Befestigungen« entfernt werden sollen.
»Also auch die Mauer«, sage ich. »Das haben wir doch vorher noch besprochen.«
Ich bin sauer. Weil die Mauer noch steht. Weil mal wieder ich hier stehe, nicht mein Mann. Weil Herrn Yildirim ins Gesicht geschrieben steht, dass ich und die Mauer ihm gehörig auf den Senkel gehen.
»Frau Karnick«, sagt Herr Yildirim und blättert in den Zetteln herum, die auf seinem Klemmbrett befestigt sind, »Mauer steht nicht in meinem Gesprächsprotokoll. Befestigungen sind Gehwegplatten und Pflastersteine und so. Mauer ist Mauer. Und sehen Sie, Mauer hat Fundament aus Beton, Fundament kann nur mit Bagger weggemacht werden, Bagger ist schon weg, kostet viel Geld, ihn noch mal hierher zu transportieren.« Er hebt bedauernd die Hände, die Handflächen Richtung Himmel geöffnet: »Was soll ich machen?«
Ist das mein Problem? Ja, das hier ist mein Problem, leider. Was tun? Möglichkeit eins ziehe ich nur sehr kurz, aber immerhin ernsthaft in Betracht: auf die Mauer scheißen, das Abnahmeprotokoll unterschreiben, aufs Fahrrad setzen, schnell wegfahren, mich betrinken, um zu vergessen. Möglichkeit zwei: meine Harmoniesucht überwinden und mich mit Herrn Yildirim anlegen.
»Eine Mauer ist eine Befestigung«, sage ich, »und ich weiß genau, dass ich gesagt habe, dass die weg soll, das habe ich schon beim allerersten Besichtigungstermin mit Ihrem Chef besprochen.«
»Frau Karnick«, sagt Herr Yildirim und hält mir sein Handy entgegen, »wenn das so ist, dann sprechen Sie jetzt mit Chef. Wenn Chef sagt, Mauer soll weg«, Herr Yildirim schnalzt zweimal, »dann mache ich Mauer weg.«
Ich spreche mit dem Chef, mein Herz klopft, während ich spreche. Wie lächerlich! Der Chef sagt auch, eine Mauer sei keine Befestigung, laut schriftlichem Auftrag seien sie nicht verpflichtet, sie abzureißen, an mündliche Abmachungen könne er sich leider nicht erinnern, aber nun gut, ein Kompromissvorschlag: Die
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