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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Karnick
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fast akzentfrei – mit mir spricht, sieht er die ganze Zeit aus, als würde er mühsam ein Lachen unterdrücken. Allerdings hat er bei unserem Treffen nur das Notwendigste gesprochen.
    Ich sprach, unter anderem: »Und sämtliche Befestigungen, also zum Beispiel die ganzen Pflastersteine und die Mauer zur Straße, die müssen auch weg, steht ja auch im Vertrag, aber bitte passen Sie auf, dass die Hecke dabei nicht beschädigt wird, meinen Sie, das bekommen Sie hin?«
    Herr Yildirim zog die Augenbrauen hoch, betrachtete die Hecke und schnalzte zweimal mit der Zunge.
    »Ja«, sagte er, und schon erschienen die Lachfalten in seinen Augenwinkeln, sein Mund verzog sich aus mir völlig unerklärlichem Grund zu einem Schmunzeln.
    Der Mann irritierte mich.
    »O.k.«, sagte Herr Yildirim. »Nächsten Montag fangen wir an.«
    Bevor ich mich auf den Heimweg machte, sagte ich den Nachbarn Bescheid, dass es ab Montag für ein paar Tage sehr laut und dreckig werden würde. Zwei Tage später rief mich Herr Yildirim auf dem Handy an und sagte, ganz überraschend stünden ihm ein paar Männer und Maschinen früher als erwartet zur Verfügung. Ob es in Ordnung sei, wenn sie die Zeit nutzen und am Donnerstag schon einmal mit dem Abriss der Garage anfangen würden?
    »Klar«, sagte ich. »Aber denken Sie dran, der Klempner, der kommt erst am Montag.«
    Der Klempner wird kommen, um die Heizungstherme auszubauen. Die Gasheizung gehört zu den einzigen drei Dingen aus dem alten Haus, die wir behalten wollen. Sie ist erst zwei Jahre alt. Der Klempner, der den Bauwasseranschluss gebaut hat, hat gesagt, wir könnten sie im neuen Haus wieder einbauen. Die beiden anderen Dinge sind: ein uns sympathischer, dreieckiger Glasaschenbecher mit dem schwarzen Aufdruck »Porzellan- u. Glaswaren, Hierner & Co., Zell am See, Stadtplatz«. Und eine unter einer dicken Staubschicht tadellos erhaltene Pendelleuchte aus gelbem und weißem Kunststoff, die aussieht wie das Ufo einer freundlichen fremden Spezies und wahrscheinlich seit 1971 im Flur des alten Hauses hing. Der Rest des Hauses wird bald Vergangenheit sein.
    Die Großfamilie biegt zu Fuß in unsere Straße ein, ich halte nach dem Dach unseres Hauses Ausschau, ich kann kein Dach entdecken, dafür hört man schon von Weitem: unglaublichen Lärm. Gleich darauf stehen wir auf dem Bürgersteig vor dem alten Haus.
    »Oh«, sage ich.
    »Oh«, sagt mein Mann.
    »Oha!«, sagt die Großfamilie.
    Wir stehen vor einem halben alten Haus. Der Dachstuhl ist bereits weg, die Garage sowieso, die Haustür fehlt, aus sämtlichen Fensterrahmen ist das Fensterglas geschlagen worden, die vordere Backsteinmauer des ersten Stockwerks wird gerade von einer Baggerschaufel malträtiert. Der Bagger zermalmt den Rasen vor dem Haus, von dem ohnehin nicht mehr viel zu sehen ist, weil überall Dachziegel, Balken und Steine herumliegen. Vor dem Haus stehen große Container, einer für Bauschutt, ein anderer für Holz. Dort, wo die Schaufel bereits eine große Schneise in die Mauer geschlagen hat, flattern Tapetenfetzen – ein letzter Rest von Leben in einem zum Tode verurteilten Haus. Es ist ein trauriger Anblick. Plötzlich bekomme ich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Darf man das, so ein Haus vom Erdboden tilgen und mit ihm die Vergangenheit der Menschen, die darin gelebt und geliebt und gelitten haben? Ist das nicht eine total großkotzige »Weg da, jetzt kommen wir!«-Nummer, für die uns sämtliche Nachbarn zu Recht verabscheuen werden? Na, immerhin haben wir dem österreichischen Aschenbecher eine Zukunft gesichert, vermutlich ein Urlaubssouvenir.
    Augenblicklich allerdings verabscheuen uns die Nachbarn wahrscheinlich eher deshalb, weil wir ihnen unangekündigt den allerersten terrassentauglichen Feierabend des Jahres versauen. Es ist fünf Uhr nachmittags, der Bagger röhrt, Mauersteine krachen herunter, Staub wirbelt durch die Luft. Auf alles bin ich als zukünftige Bauherrin gefasst gewesen, aber nicht darauf, dass es Arbeiter gibt, die schneller und länger arbeiten als erwartet.
    »Frau Karnick!«, ruft Herr Yildirim, der uns auf dem Bürgersteig hat stehen sehen und gekommen ist, um Guten Tag zu sagen.
    Er schüttelt mir die Hand. Schon wieder macht er ein Gesicht, als hielte er den ganzen Abriss für einen wahnsinnig lustigen Witz: »Tja, ging bisschen fixer als gedacht.«
    »Und die Heizung?«, frage ich.
    »Die Heizung ist im Keller«, sagt Herr Yildirim und grinst. »Keller schaffen wir heute leider nicht mehr.

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