Ich hab dich im Gefühl
dem Anblick des halb fertigen Kinderzimmers aussetzen zu müssen. Mir graut davor, die Kindersachen ausräumen zu müssen, das Gästebett aufzustellen und die Schränke wieder mit meinem ganzen überflüssigen Krempel vollzustopfen – Schuhe, Handtaschen, lauter Zeug, das ich nie im Leben tragen werde. Als wären sie ein angemessener Ersatz für das Baby. Mir graut davor, wieder arbeiten zu gehen, statt die Elternzeit zu nehmen, die ich geplant hatte. Mir graut vor Conor. Mir graut davor, in eine lieblose Ehe zurückkehren zu müssen und nicht mal ein Baby zu haben, das uns ablenkt. Mir graut davor, den Rest meines Lebens mit Conor verbringen zu müssen, der am Telefon davon schwafelt, wie gern er für mich da sein möchte, während ich ihm in den letzten Tagen mantra-artig gesagt habe, dass er nicht zu kommen braucht. Ich weiß, normalerweise müsste ich wollen, dass mein Mann sofort zu mir nach Hause kommt – und er genauso. Aber in unserer Ehe gibt es nur allzu viele Abers, und dieser »Vorfall« ist auch kein normales Ereignis. Da kann man nicht »normal« reagieren. Richtig und erwachsen zu handeln fühlt sich für mich falsch an, denn ich will niemanden um mich herum haben. Ich bin seelisch und körperlich so mitgenommen, dass ich jetzt nur noch allein sein möchte – allein sein, damit ich ungestört trauern kann. Ich möchte mich selbst bemitleiden, ohne mitfühlende Worte von anderen, ohne medizinische Erklärungen. Ich möchte unlogisch sein, ich möchte jammern, klagen, mich in ein Schneckenhaus zurückziehen und mich einfach für ein paar Tage bitter und verloren fühlen. Bitte, du Welt da draußen, lass mich in Ruhe!
Obgleich auch das in unserer Ehe nicht ungewöhnlich ist – ich war oft genug allein.
Conor ist Ingenieur. Er ist oft monatelang im Ausland unterwegs, kommt zwischendurch einen Monat nach Hause und fährt dann wieder weg. Früher habe ich mich manchmal so an meine eigene Gesellschaft und meine eigene Routine gewöhnt, dass ich in der ersten Woche, wenn Conor nach Hause kam, ständig gereizt war und mir wünschte, er würde gleich wieder fahren. Natürlich hat sich das im Lauf der Jahre geändert. Jetzt hält sich meine Gereiztheit den ganzen Monat über, den wir zusammen sind. Und es ist inzwischen sonnenklar, dass ich mit diesem Gefühl keineswegs allein dastehe.
Als Conor den Job vor Jahren angenommen hat, fiel es uns schwer, so lange getrennt zu sein. Ich habe ihn, so oft es ging, besucht, aber es war schwierig, weil ich in meinem Job dauernd Urlaub nehmen musste. So wurden meine Besuche immer kürzer, seltener, und schließlich stellte ich sie ganz ein.
Ich dachte immer, unsere Ehe könnte alles überleben, solange wir uns nur Mühe gaben, alle beide. Aber dann merkte ich, dass ich mich dauernd überreden musste, es zu versuchen. Ich fing an, in unserer Beziehung zu forschen, all die komplizierten Schichten abzutragen und zu analysieren, die sich im Lauf der Zeit angesammelt hatten, um ganz zum Anfang vorzudringen. Was hatten wir damals, als wir uns kennenlernten und frisch verliebt waren, was konnten wir davon wiederbeleben? Was war es gewesen, das uns zu dem Versprechen bewogen hatte, dass wir jeden Tag unseres Lebens miteinander verbringen wollten? Und ich fand auch die Antwort: Es war das, was man im Allgemeinen Liebe nennt. Ein kleines, einfaches Wort. Wenn es nicht so viel bedeuten würde, dann wäre unsere Ehe perfekt gewesen.
In meinem Krankenhausbett habe ich viel nachgedacht. Manchmal haben meine Gedanken mittendrin abrupt angehalten, wie wenn man in ein Zimmer kommt und plötzlich vergessen hat, was man da eigentlich wollte. Auf einmal blieben sie stehen, sprachlos. Dann war ich wie benommen, und wenn ich die rosaroten Wände anstarrte, konnte ich nichts anderes denken, als dass ich die rosaroten Wände anstarrte.
Allzu oft sind meine Gedanken dabei von einem Extrem ins andere gekippt – erst zu wenig Gefühl, dann zu viel, aber einmal, als sie sehr weit weggewandert waren, bin ich auf eine tief vergrabene Erinnerung gestoßen, aus der Zeit, als ich sechs Jahre alt war und ein Teeservice von meiner Großmutter geschenkt bekommen hatte, das ich heiß und innig liebte. Es stand in ihrem Haus, damit ich jederzeit damit spielen konnte. Wenn ich sie samstags besuchte und nachmittags dann ihre Freundinnen zum Tee kamen, schlüpfte ich in eins der Kleider, die meine Mutter als kleines Mädchen getragen hatte, und veranstaltete mit Tante Jemima, der Katze, meine eigene
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