Ich hab dich im Gefühl
verwirrt starre ich sie an.
»Na ja, ich geh dann mal lieber.« Als sie an mir vorbeikommt, ergreift sie meinen Arm und drückt ihn, weigert sich aber immer noch, mich anzusehen. »Pass gut auf dich auf, Liebes.« Damit macht sie sich auf den Weg die Straße hinunter, ihr Wägelchen hinter sich herziehend, und ihre altmodische Strumpfhose schlägt Falten um ihre breiten Knöchel.
»Dad«, sage ich und sehe ihn ärgerlich an. »Dad, was zum Teufel soll das?« Dann gehe ich ins Haus, wo ich einen ekligen staubigen Läufer auf meinem schönen beigefarbenen Teppichboden vorfinde. »Warum hast du einer Fremden meinen Hausschlüssel gegeben, damit sie reinkommt und hier diesen komischen Läufer deponiert? Ich bin doch kein Fall für die Wohlfahrt!«
Er nimmt die Mütze ab und knautscht sie verlegen mit den Händen. »Sie ist doch keine Fremde, Liebes. Sie kennt dich, seit du nach der Geburt aus dem Krankenhaus gekommen bist …«
Momentan ist das genau das falsche Thema, das muss auch ihm klar sein.
»Das ist mir vollkommen egal!«, zische ich. »Es ist mein Haus, nicht deines! Das kannst du nicht einfach machen. Dieser hässliche Scheißläufer!« Ich packe das groteske Ding, schleife es hinaus, komme wieder ins Haus und knalle die Tür hinter mir zu. Ich koche vor Wut und nehme Dad ins Visier, um ihn weiter anzuschreien. Er ist bleich und erschüttert und starrt unverwandt auf den Boden. Ich folge seinem Blick.
Rotbraune Flecken unterschiedlicher Schattierung, bei denen man unwillkürlich an Rotwein denken muss, sind über den hellen Teppich verteilt. An manchen Stellen hat anscheinend jemand versucht, sie wegzureiben, aber die gegen den Strich gebürsteten Teppichhaare lassen immer noch eindeutig erkennen, dass hier etwas vergossen worden ist. Mein Blut.
Ich schlage die Hände vors Gesicht.
Leise und kleinlaut sagt Dad: »Ich dachte, es wäre am besten, wenn du es nicht mehr sehen kannst.«
»Ach, Dad.«
»Fran war jeden Tag eine Weile hier und hat es mit verschiedenen Putzmitteln versucht. Ich hab schließlich den Vorschlag mit dem Läufer gemacht«, fügt er noch leiser hinzu. »Das war nicht ihre Idee.«
Ich hasse mich.
»Ich weiß, dass du in deinem Haus gern lauter hübsch zusammenpassende Sachen hast«, sagt er und schaut sich um, »aber so was besitzen Fran oder ich nun mal leider nicht.«
»Tut mir leid, Dad. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Entschuldige, dass ich dich angeschrien habe. Du hast mir so viel geholfen in der letzten Woche. Ich … ich werde irgendwann bei Fran vorbeischauen und mich richtig bei ihr bedanken.«
»In Ordnung«, sagt er. »Dann lass ich dich jetzt erst mal in Ruhe. Den Läufer bring ich Fran lieber gleich zurück. Ich möchte nicht, dass einer von den Nachbarn ihn auf der Straße rumliegen sieht und ihr davon erzählt.«
»Nein, ich lege ihn wieder hierher. Er ist zu schwer für dich. Ich behalte ihn einfach erst mal und gebe ihn ihr dann bald zurück.« Ich mache die Haustür auf, schnappe mir den Läufer, der auf dem Gartenweg gelandet ist, und schleppe ihn mit etwas mehr Respekt ins Haus zurück. Dort lege ich ihn so hin, dass er die Stelle verdeckt, wo ich mein Baby verloren habe.
»Es tut mir wirklich leid, Dad.«
»Keine Sorge.« Schwankend wie immer kommt er auf mich zu und tätschelt mir die Schulter. »Du machst eine schwere Zeit durch, das weiß ich. Ich bin gleich um die Ecke, wenn du irgendwas brauchst.«
Mit einem Schnippen des Handgelenks setzt er die Mütze wieder auf den Kopf, und ich sehe ihm nach, wie er die Straße hinunterschaukelt. Die Bewegung ist vertraut und tröstlich, ein Auf und Ab wie Meereswogen. Schließlich verschwindet er um die Ecke, und ich schließe die Tür. Ich bin allein. Stille. Nur ich und das Haus. Das Leben geht weiter, als wäre nichts passiert.
Auf einmal merke ich, dass das Kinderzimmer im Obergeschoss zu vibrieren scheint. Bum-bum. Bum-bum. Es pocht wie ein Herz, als versuchte es, die Wände nach außen zu drücken und Blut die Treppe herunterströmen zu lassen, durch den Flur, bis in den kleinsten Winkel. Ich entferne mich von der Treppe, dem Tatort, und wandere langsam durch die Zimmer. Wie es aussieht, ist alles genau so, wie es immer war, obwohl mir auf den zweiten Blick auffällt, dass Fran überall saubergemacht hat. Die Tasse Tee, die ich getrunken habe, steht nicht mehr auf dem Couchtisch im Wohnzimmer. In der Küche summt die Spülmaschine. Wasserhähne und Abtropfbrett, Arbeitsplatten, alles blitzt
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