Ich hab dich im Gefühl
dranlassen, Schätzchen.« Er dreht mein Gesicht wieder zum Spiegel. »Wir wollen ja keine Sigourney Weaver aus
Alien
, oder? Wir machen einen schrägen Pony, sehr raffiniert, sehr angesagt zurzeit. Ich glaube, das wird Ihnen auch gut stehen, dann kommen Ihre hohen Wangenknochen zur Geltung. Was meinen Sie?«
Meine Wangenknochen sind mir egal, ich möchte nur endlich diese Haare los sein.
»Wie wäre es denn, wenn wir einfach das hier machen?« Schon habe ich ihm die Schere abgenommen und meinen Pferdeschwanz abgeschnitten. Dann drücke ich ihm beides in die Hand.
Er stößt ein entsetztes Quieken aus. »Ein … ein Bob, natürlich, das ist auch eine Möglichkeit.«
Mein Friseur steht mit seiner großen Schere in der einen Hand da, mein Pferdeschwanz baumelt von der anderen herunter, und der Amerikaner starrt ihn mit offenem Mund an. Aber dann dreht er sich blitzschnell um und nimmt seinem Friseur die Schere ab, ehe der noch einen Schnitt machen kann. »Machen Sie das bitte nicht mit mir!«, ruft er warnend.
Vokuhila seufzt und verdreht die Augen. »Nein, selbstverständlich nicht, Sir.«
Wieder fängt der Amerikaner an, sich am linken Arm zu kratzen. »Irgendwas muss mich da gestochen haben.« Er rollt die Ärmel hoch, und ich verrenke mir in meinem Stuhl den Hals, um seinen Arm zu sehen.
»Könnten Sie bitte stillsitzen?«
»Könnten Sie bitte stillsitzen?«
Die Friseure äußern ihre Ermahnung wie aus einem Munde. Sie schauen sich an und lachen.
»Heute liegt irgendwas Komisches in der Luft«, meint der eine dann, und der Amerikaner und ich sehen uns an. Ja, wirklich komisch.
»Schauen Sie bitte wieder nach vorn, Sir.« Brav wendet er sich dem Spiegel zu.
Mein Friseur legt einen Finger unter mein Kinn, so dass mein Kopf wieder gerade wird, und überreicht mir mit großer Geste meinen Pferdeschwanz.
»Als Souvenir.«
»Ich möchte ihn aber nicht«, wehre ich ab und weigere mich, die Haare in die Hand zu nehmen. Jeder Zentimeter stammt aus einer Zeit, die jetzt vorbei ist. Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte, Träume, die es nicht mehr gibt. Ich möchte einen Neustart. Mit neuen Haaren.
Schließlich legt er den Pferdeschwanz weg und beginnt, meine Haare in Form zu bringen, und ich sehe zu, wie die Strähnen zu Boden fallen. Schon fühlt sich mein Kopf viel leichter an.
Das Stück, das gewachsen ist, als wir das Bettchen gekauft haben. Schnipp.
Das Stück, das gewachsen ist, als wir die Farbe fürs Kinderzimmer ausgesucht haben, die Fläschchen, Lätzchen und Bodys. Alles zu früh gekauft, aber wir konnten es einfach nicht abwarten … Schnipp.
Das Stück, das gewachsen ist, als wir einen Namen für das Baby ausgesucht haben. Schnipp.
Das Stück, das gewachsen ist, als wir Freunden und Familie das bevorstehende frohe Ereignis mitgeteilt haben. Schnipp.
Der Tag des ersten Ultraschalls. Der Tag, als ich festgestellt habe, dass ich schwanger bin. Der Tag, an dem das Baby empfangen wurde. Schnipp. Schnipp. Schnipp.
Die schmerzlicheren neuen Erinnerungen direkt an den Wurzeln müssen noch eine Weile ausharren. Wohl oder übel muss ich noch warten, bis ich sie loswerden kann. Aber dann sind alle Spuren verschwunden, und ich kann weitermachen.
Gleichzeitig sind der Amerikaner und ich fertig und gehen zur Kasse.
»Steht Ihnen sehr gut«, bemerkt er und mustert mich.
Nervös will ich eine Strähne hinter die Ohren streichen, aber da ist nichts mehr. Ich fühle mich leichter, ein bisschen benommen, vergnügt, weil mir schwindlig ist, schwindlig, weil ich mich freue.
»Bei Ihnen sieht’s auch gut aus.«
»Danke.«
Er hält die Tür für mich auf.
»Danke.« Ich trete nach draußen.
»Sie sind viel zu höflich«, sagt er.
»Danke«, antworte ich. »Sie auch.«
»Danke«, nickt er.
Wir lachen. Dann sehen wir beide zu den wartenden Taxis und neugierig wieder zurück. Er lächelt mich an.
»Das erste oder das zweite Taxi?«, fragt er.
»Für mich?«
Er nickt. »Mein Fahrer ist eine fürchterliche Quasselstrippe.«
Ich betrachte beide, sehe Dad im zweiten Wagen, wie er mit dem Fahrer plaudert.
»Das erste. Mein Dad ist eine fürchterliche Quasselstrippe.«
Er studiert das zweite Taxi, in dem Dad jetzt die Nase an die Scheibe drückt und mich anstarrt, als wäre ich ein Gespenst.
»Dann also das zweite«, sagt der Amerikaner.
»Hey!«, protestiere ich, aber er geht unbeirrt zu seinem Taxi. Allerdings dreht er sich unterwegs zweimal um.
Wie auf Wolken erreiche ich den anderen Wagen,
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