Ich hab dich im Gefühl
machen, Bergsteigen?«
»Wir treffen uns bloß zum Mittagessen.«
Al verdreht die Augen. »Ach, aber du musst dein Essen erst jagen und töten oder was? Jedenfalls ist das jetzt dein erster Workout seit einem Jahr, und wenn du morgen früh aufwachst, wirst du nicht mehr laufen können, geschweige denn vögeln.«
Ich wache von einem lauten Geklapper von Töpfen und Pfannen auf, das aus der Küche zu mir heraufdringt. Einen Moment bin ich völlig desorientiert, weil ich erwarte, zu Hause in unserem Schlafzimmer zu sein. Aber dann fällt mir alles wieder ein. Das ist meine tägliche morgendliche Pille, bitter und schwer zu schlucken. Irgendwann werde ich aufwachen und alles gleich wissen. Allerdings weiß ich nicht, ob mir das lieber ist, denn die Momente des Vergessens sind ein Segen.
Besonders gut geschlafen habe ich nicht, einerseits, weil mir so viel durch den Kopf geht, andererseits, weil Dad anfangs jede Stunde aufs Klo gegangen ist und die Spülung so laut rauscht. Als er dann irgendwann eingeschlafen ist, fingen nach kurzer Zeit die Wände von seinem Schnarchen an zu beben.
Trotz der Unterbrechungen sind mir meine Träume aus den wenigen Momenten, in denen ich geschlafen habe, noch lebhaft im Gedächtnis. Sie fühlen sich fast real an, wie Erinnerungen – obwohl wir ja auch bei ihnen nicht wissen, wie real sie wirklich sind, bei den ganzen Veränderungen, die unser Denken daran vornimmt. Ich erinnere mich, dass ich in einem Park war, aber irgendwie war ich nicht wirklich ich. Ich wirbelte ein kleines Mädchen mit weißblonden Haaren durch die Luft, und eine rothaarige Frau mit einer Kamera sah uns dabei zu. Der Park war bunt, es gab eine Menge Blumen, und wir machten ein Picknick … Aber ich kann mir das Lied nicht mehr ins Gedächtnis rufen, das ich die ganze Nacht gehört habe. Stattdessen höre ich Dad unten »The Auld Triangle« trällern, ein altes irisches Lied, das er bei sämtlichen Festen zum Besten gibt. Er stellt sich hin, das Bierglas in der Hand, ein Inbild des Frohsinns, und besingt »die alte Triangel«, die so wunderschön »Dingeling macht«.
Ich schwinge mich aus dem Bett – und stöhne vor Schmerzen laut auf. Meine Beine tun unerträglich weh, Hüfte, Oberschenkel, bis hinunter zu den Waden. Vorsichtig versuche ich den Rest meines Körpers zu bewegen, aber auch er ist praktisch gelähmt vor Schmerzen, Schultern, Bizeps, Rückenmuskeln, Torso. Völlig verwirrt massiere ich mir die Muskeln und nehme mir vor, gelegentlich zum Arzt zu gehen, nur für den Fall, dass es etwas Ernstes ist. Bestimmt ist es mein Herz, das entweder mehr Aufmerksamkeit braucht oder so voller Kummer ist, dass der Schmerz sich schon auf den Rest des Körpers ausdehnt – jeder dumpf pochende Muskel ein Ausläufer des Schmerzes in meinem Innern. Andererseits würde mir ein Arzt wahrscheinlich sagen, dass meine Beschwerden von dem dreiunddreißigjährigen Bett herrühren, in dem ich geschlafen habe und das in einer Zeit gebaut worden ist, in der die Menschen die Unterstützung des Rückens durch eine gescheite Matratze noch nicht als ihr gottgegebenes Recht ansahen.
Ich hülle mich in einen Bademantel und mache mich langsam und steif wie ein Brett auf den Weg nach unten, wobei ich mein Möglichstes tue, um die Beine nicht beugen zu müssen.
Wieder steigt mir ein schwacher Qualmgeruch in die Nase, und als ich am Dielentischchen vorbeikomme, fällt mir auf, dass Mums Foto erneut verschwunden ist. Einem spontanen Impuls folgend, ziehe ich die Schublade unter dem Tischchen auf, und tatsächlich – da liegt sie, mit dem Gesicht nach unten. Mir steigen die Tränen in die Augen, so wütend bin ich, dass dieses kostbare Bild einfach versteckt worden ist. Für Dad und mich war es immer mehr als nur ein gewöhnliches Bild, es repräsentiert Mums Gegenwart in diesem Haus, sie begrüßt uns jedes Mal von ihrem Ehrenplatz, wenn wir durch die Haustür herein- oder die Treppe herunterkommen. Aber ich atme tief durch und beschließe, erst mal nichts zu sagen, sondern einfach anzunehmen, dass Dad seine Gründe für diese seltsame Maßnahme hat. Auch wenn ich mir nichts Einleuchtendes vorstellen kann. Rasch schiebe ich die Schublade wieder zu, lasse Mum dort, wo Dad sie platziert hat, und habe dabei das Gefühl, als müsste ich sie ein zweites Mal beerdigen.
Als ich in die Küche humple, begrüßt mich das pure Chaos. Überall Töpfe und Pfannen, Geschirrtücher, Eierschalen und ein Wirrwarr von Dingen – es sieht aus,
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