Ich hab dich im Gefühl
es weder an den Tennisshorts noch an dem Mann lag, der sie trug.
Ich lasse mich auf der Tagesdecke nieder, die Mum gekauft hat, und achte darauf, dass ich sie nicht zerknittere. Es war ein Set von Dunnes, bestehend aus der Decke, zwei dazu passenden Kissen und einer Kerze fürs Fensterbrett, die nie angezündet wurde und inzwischen ihren Duft verloren hat. Staub sammelt sich auf ihr, ein Beweis, dass Dad seinen Pflichten nicht nachkommt – als wäre es für einen Fünfundsiebzigjährigen wichtig, irgendwo anders Staub zu wischen als auf dem Regal mit den liebsten Erinnerungsstücken. Aber der Staub hat sich gelegt, und er soll bleiben, wo er ist.
Ich schalte mein Handy an, das tagelang abgestellt war, und sofort beginnt es eifrig zu piepen, während ein Dutzend Nachrichten eintrudelt. Eigentlich habe ich alle, die mir lieb und nahe oder neugierig sind, schon angerufen und informiert. Es ist, wie wenn man ein Pflaster herunterreißt – nicht dran denken, ein Ruck, dann ist die Sache fast schmerzfrei zu erledigen. Adressbuch aufschlagen, und dann eins nach dem anderen, zack, zack, zack, jeweils drei Minuten. Schnelle, schwungvolle Telefongespräche, geführt von einer seltsam gut gelaunten Frau, die für einen kurzen Zeitraum meinen Körper bewohnte. Eine unglaubliche Frau, positiv und munter, und doch zum richtigen Zeitpunkt auch emotional und weise. Ihr Timing war perfekt, und ihre Empfindungen waren so prägnant, dass ich am liebsten mitgeschrieben hätte. Sogar ein bisschen Humor war dabei, den manche Lieben, Nahen und Neugierigen gut verkrafteten, während andere fast einen beleidigten Eindruck machten – nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte,
it’s my party, and I cry if I want to
. Natürlich kenne ich diese Frau, sie hat bei mir Trauma-Bereitschaft, schlüpft in meine Schuhe und übernimmt die schwierigen Rollen. Garantiert wird sie bald wieder auftauchen.
Nein, es wird noch lange dauern, bis ich wieder mit meiner eigenen Stimme sprechen kann. Aber die Frau, die ich jetzt anrufe, ist eine Ausnahme, bei ihr kann und muss ich mich nicht verstellen.
Kate hebt beim vierten Klingeln ab.
»Hallo!«, ruft sie, und ich zucke heftig zusammen. Im Hintergrund höre ich Geräusche, als wäre soeben ein Krieg ausgebrochen.
»Joyce!«, brüllt sie, und mir wird klar, dass sie die Freisprecheinrichtung eingestellt hat. »Ich hab dich schon so oft angerufen! Derek, SETZ DICH HIN ! DAS GEFÄLLT MUMMY NICHT ! Sorry, ich bin grade dran mit dem Abholdienst. Ich muss sechs Kinder nach Hause schaffen, dann gibt’s einen kleinen Snack, bevor ich Eric zum Basketball und Jayda zum Schwimmen bringe. Hast du Lust, dich da nachher mit mir zu treffen? Jayda kriegt heute ihr Zehn-Meter-Abzeichen.«
Ich höre Jayda heulen, dass sie Zehn-Meter-Abzeichen hasst.
»Wie kannst du es hassen, wenn du noch nie eins gemacht hast?«, faucht Kate sie an. Jayda heult noch lauter, und ich muss mein Handy ein Stück vom Ohr weg halten. » JAYDA ! GIB JETZT ENDLICH RUHE ! DEREK , MACH DEINEN GURT ZU ! Wenn ich plötzlich bremsen muss, KRACHST du durch die Windschutzscheibe und SCHLÄGST DIR DAS GESICHT ZU BREI . Moment mal, Joyce.«
Während ich warte, herrscht Schweigen.
»Gracie!«, schreit Dad. Panisch renne ich zur Treppe. So habe ich ihn seit meiner Kindheit nicht mehr brüllen hören.
»Ja, Dad? Alles klar bei dir?«
»Ich hab sieben Buchstaben!«, ruft er.
»Du hast
was
?«
»Sieben Buchstaben!«
»Was soll das heißen?«
»Bei
Countdown
!«
Meine Panik ebbt ab, und ich setze mich leicht frustriert auf die oberste Treppenstufe. Plötzlich kommt Kates Stimme zurück, und es klingt, als wären Ruhe und Frieden wiederhergestellt.
»Okay, ich hab die Freisprecheinrichtung ausgeschaltet. Wahrscheinlich werde ich verhaftet, weil ich das Telefon in der Hand habe, und natürlich auch von der Abholliste gestrichen, aber das ist mir so was von scheißegal.«
»Ich sag meiner Mummy, dass du das Sch-Wort benutzt hast«, ertönt ein hohes Stimmchen.
»Gut. Das wollte ich ihr schon seit Jahren sagen«, murmelt Kate, und ich muss lachen.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, höre ich einen Kinderchor.
»O Mann, Joyce, ich mach lieber Schluss. Sehn wir uns um sieben im Freizeitcenter? Das ist meine einzige Pause. Sonst geht es erst morgen. Tennis um drei oder Turnen um sechs? Ich schau mal, ob Frankie vielleicht auch kommen kann.«
Frankie. Mit Taufnamen heißt sie Francesca, aber darauf hört sie nicht. Dad hat unrecht mit Kate.
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