Ich hab dich im Gefühl
heute, aber für mich ist das nichts. An so was bin ich überhaupt nicht gewöhnt. Ich bin noch nie geflogen, wissen Sie. Da sagt meine Tochter: ›Wäre es nicht toll, wenn wir beide einfach mal Urlaub machen?‹ Normalerweise würde ich sofort ablehnen, ich hab nämlich jede Menge im Garten zu tun. Lilien, Tulpen, Osterglocken und Hyazinthen müssen rechtzeitig zum Frühling gesetzt werden, aber sie sagt, leb doch mal ein bisschen, dafür sollte sie eins hinter die Ohren bekommen, weil ich nämlich viel mehr gelebt habe als sie. Aber wegen den ganzen, na ja, sagen wir mal Problemen in letzter Zeit hab ich beschlossen, mit ihr zu fahren. Und das ist doch kein Verbrechen, oder?«
»Was denn für Probleme, Mr Conway?«
»Ach, meine Gracie …«
»Joyce.«
»Ja, danke. Meine Joyce hat eine schwere Zeit hinter sich. Vor ein paar Wochen hat sie ihr Baby verloren, wissen Sie. Jahrelang hat sie versucht, schwanger zu werden, mit einem Kerl, der immer in diesen knallengen weißen Shorts Tennis spielt, und endlich sah alles so gut aus, aber dann hatte sie einen Unfall, ist gestürzt, wissen Sie, und hat das Kleine verloren. Ein bisschen von sich selbst hat sie auch verloren, wenn ich ehrlich sein soll. Letzte Woche dann auch noch ihren Ehemann, aber deswegen muss sie Ihnen jetzt nicht leid tun. Sie hat was verloren, das schon, aber sie hat jetzt auch was, was sie vorher nie hatte. Ich kann nicht richtig sagen, was es eigentlich ist, aber was immer es sein mag, ich glaube nicht, dass es was Schlechtes ist. Allgemein läuft es gerade nicht so gut für sie in letzter Zeit, und was wäre ich denn für ein Vater, wenn ich sie in diesem Zustand allein wegfahren lassen würde? Sie hat keinen Job, kein Baby, keinen Mann, keine Mutter und bald auch kein Haus mehr, und wenn sie zur Erholung mal nach London möchte, und sei es in letzter Minute, dann finde ich das absolut vertretbar, und keiner sollte ihr Steine in den Weg legen. Hier, nehmen Sie die blöde Kappe. Meine Joyce möchte nach London, und das sollten wir unterstützen. Sie ist ein gutes Mädchen, hat in ihrem ganzen Leben nichts Falsches getan. Momentan hat sie nichts außer mir und dieser Reise, jedenfalls wie ich das sehe. Also hier, nehmen Sie die Kappe. Wenn ich ohne meine Kappe und ohne meine Schuhe und ohne meinen Gürtel und ohne meinen Mantel ins Flugzeug muss, na gut, soll mir recht sein, aber meine Joyce fliegt nicht ohne mich nach London.«
Tja, wenn einem das nicht den Rest gibt.
»Mr Conway, Sie wissen doch sicher, dass Sie Ihre Sachen zurückbekommen, wenn Sie durch den Metalldetektor gegangen sind?«
»Was?«, ruft er. »Warum hat sie mir das denn nicht gesagt? Dann war der ganze Blödsinn ja für nichts! Ehrlich, manchmal könnte man denken, sie hat es auf Ärger abgesehen. Okay, Jungs, ihr könnt meine Sachen nehmen. Schaffen wir es noch auf unseren Flug, was meint ihr?«
Alle Tränen sind inzwischen getrocknet.
Endlich öffnet sich die Tür meiner Zelle, und mit einem kurzen Nicken werde ich wieder auf freien Fuß gesetzt.
*
»Doris, du kannst den Herd in der Küche nicht verstellen. Sag es ihr, Al.«
»Warum denn nicht?«
»Schatz, erstens ist er schwer, und zweitens ist es ein Gasherd. Du bist nicht befugt, Küchengeräte mit Gasanschluss in der Gegend herumzuschieben«, erklärt Al und macht Anstalten, in einen Donut zu beißen.
Aber Doris entreißt ihm das Gebäck, und er leckt sich wehmütig die Marmelade von den Fingern, die dort kleben geblieben ist. »Ihr beiden scheint nicht zu verstehen, warum es feng-shui-mäßig betrachtet schlecht ist, wenn der Herd in Richtung Tür steht. Die Person, die am Herd steht, wird dann immer instinktiv die Tür im Blick haben. Es entsteht ein Gefühl des Unbehagens, und daraus kann sich leicht ein Unfall entwickeln.«
»Vielleicht wäre es sowieso sicherer für Dad, wenn wir den Herd ganz entfernen.«
»Jetzt lasst mich doch mal in Frieden«, ächzt Justin und nimmt auf einem neuen Küchenstuhl am neuen Küchentisch Platz. »Die Wohnung braucht weiter nichts als ein paar Möbel und ein bisschen Wandfarbe, und es besteht keinerlei Veranlassung, sie nach den Regeln von Yoda komplett umzumodeln.«
»Mit Yoda hat das überhaupt nichts zu tun«, schnaubt Doris. »Donald Trump richtet sich auch nach Feng-Shui.«
»Na dann«, sagen Al und Justin wie aus einem Munde.
»Ja, na dann. Wenn du wie Trump leben würdest, könntest du vielleicht die ganze Treppe hochgehen, ohne auf halbem Weg eine
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