Ich hab dich im Gefühl
zusammen im Banqueting House?«
»Hilf mir bitte auf die Sprünge. Wo ist das, was ist das und wie sieht es aus?«
»Es liegt am Ende von Whitehall, Richtung Trafalgar Square, ein ehemaliger Königspalast aus dem siebzehnten Jahrhundert, entworfen von Inigo Jones im Jahr 1619 . Charles der Erste wurde auf einem Schafott vor dem Gebäude hingerichtet. Ich bin jetzt in einem Raum, in dem es an der Kassettendecke neun Deckengemälde gibt.« Wie sieht es aus? Ich schließe die Augen. »Aus dem Gedächtnis sehe ich eine Balustrade an der Dachlinie. Die der Straße zugewandte Fassade hat zwei Arten von Säulen unter einer Galerie, korinthische über ionischen, eine mit Bossenwerk verzierte Basis, und alles fügt sich zu einem ausgesprochen harmonischen Ganzen zusammen.«
»Joyce?«
»Ja?« Ich komme jäh zurück in die Gegenwart.
»Liest du mir aus dem Reiseführer vor?«
»Nein.«
»Als wir das letzte Mal in London waren, waren wir bei Madame Tussaud, einen Abend im G-A-Y und bei einer Party in der Wohnung von einem Mann namens Gloria. Es passiert dir grade wieder, richtig? Das, was du uns neulich erzählt hast.«
»Ja.« Ich lasse mich auf einen Stuhl in der Ecke sinken, spüre ein Seil unter mir und springe schnell wieder auf. Rasch entferne ich mich von der antiken Sitzgelegenheit und schaue mich unruhig nach den Überwachungskameras um.
»Hat es etwas mit deinem Amerikaner zu tun, dass du jetzt in London bist?«
»Ja«, flüstere ich.
»Ach, Joyce …«
»Nein, Frankie, hör mir zu. Hör mir zu, dann wirst du es verstehen. Hoffe ich jedenfalls. Gestern habe ich in Panik Dads Arzt angerufen, eine Nummer, die praktisch in mein Hirn eingebrannt ist, wie es sich gehört. Da kann ich mich doch eigentlich nicht verwählt haben, oder?«
»Stimmt.«
»Stimmt eben nicht. Ich hatte plötzlich eine Nummer in England dran, und zwar ein Mädchen namens Bea. Sie hat eine irische Nummer auf dem Display gesehen und gedacht, ihr Vater ruft an. Aus dem kurzen Gespräch, das ich mit ihr geführt habe, entnehme ich, dass ihr Vater Amerikaner ist, aber in Dublin war und gestern Abend nach London geflogen ist, um sie heute in einer Aufführung zu sehen. Und sie ist blond. Ich glaube, Bea ist das kleine Mädchen, das ich im Traum dauernd auf der Schaukel und im Sandkasten sehe, in allen möglichen Altersstufen.«
Frankie schweigt.
»Ich weiß, ich klinge irre, aber es passiert wirklich. Und ich kann es nicht erklären.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagt sie hastig. »Ich kenne dich fast mein ganzes Leben – so etwas würdest du nie erfinden. Aber selbst wenn ich dich ernst nehme, denk bitte daran, dass du eine traumatische Zeit hinter dir hast. Was du gerade erlebst, könnte auf den Stress zurückzuführen sein.«
»Daran habe ich auch schon gedacht.« Ich stöhne und lege den Kopf in die Hände. »Ich brauche Hilfe.«
»Dass du übergeschnappt bist, nehmen wir als letzte Erklärungsmöglichkeit. Lass mich mal kurz nachdenken.« Es klingt, als würde sie es aufschreiben. »Du hast also dieses Mädchen gesehen, Bea …«
»Ich weiß nicht sicher, ob es Bea ist.«
»Okay, sagen wir einfach mal, es ist Bea. Du hast sie aufwachsen sehen?«
»Ja.«
»Bis zu welchem Alter?«
»Von der Geburt an, bis … ich weiß nicht …«
»Teenager, zwanzig, dreißig?«
»Teenager.«
»Okay, wer ist sonst noch da in den Szenen mit Bea?«
»Eine Frau. Mit einer Kamera.«
»Aber dein Amerikaner nicht?«
»Nein. Dann hat er wahrscheinlich nichts mit dem Ganzen zu tun, oder?«
»Wir sollten nichts ausschließen. Wenn du also Bea und die Frau mit der Kamera siehst, bist du dann Teil der Szene oder siehst du sie von außen?«
Ich schließe die Augen und denke angestrengt nach, sehe, wie meine Hände die Schaukel anschubsen, wie ich die Hand des Mädchens festhalte, wie ich das Mädchen und ihre Mutter im Park fotografiere, fühle das Wasser aus den Sprinklern auf meiner Haut kitzeln … »Nein, ich gehöre dazu. Sie können mich sehen.«
»Okay.« Frankie schweigt.
»Was, Frankie, was?«
»Ich überlege. Warte mal einen Moment. Okay. Du siehst also ein Kind und eine Mutter, und beide sehen dich.«
»Ja.«
»Würdest du sagen, dass du in deinen Träumen durch die Augen des Vaters siehst, wie dieses Mädchen heranwächst?«
Ich bekomme eine Gänsehaut.
»O mein Gott«, flüstere ich. Der Amerikaner?
»Ich verstehe das mal als ein Ja«, sagt Frankie. »Okay, hier haben wir eine Spur. Ich weiß nicht, wohin sie führt, aber
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