Ich hab dich im Gefühl
obersten Prioritäten gehört, sich ausgerechnet jetzt mit dir zu unterhalten.«
Dad macht ein etwas verletztes Gesicht, aber sicher nicht wegen meiner Fingernägel. Doch dann reckt er das Kinn in die Luft, und ich weiß aus jahrelanger Erfahrung, dass sein Kinn und sein Stolz mit einem unsichtbaren Faden verbunden sind. Und schon macht er sich bereit, sich Michael Aspel zu nähern, der allein neben dem Tischchen steht, einen Finger im Ohr.
»Er hat bestimmt Probleme mit dem Ohrenschmalz, genau wie ich«, wispert Dad. »Er sollte mal das Zeug benutzen, das du für mich besorgt hast. Plopp! Schon ist es draußen.«
»Das ist ein Ohrhörer, Dad. Damit er die Leute im Regieraum hören kann.«
»Nein, ich glaube, es ist ein Hörgerät. Wenn wir zu ihm rübergehen, sollten wir auf alle Fälle schön laut und deutlich sprechen. Damit hab ich Erfahrung.«
Ich stelle mich ihm in den Weg und sehe ihn so einschüchternd an, wie es mir möglich ist. Dad verlagert sein Gewicht auf den linken Fuß, und gleich ist er mit mir auf Augenhöhe.
»Dad, wenn wir nicht jetzt gleich hier verschwinden, sperrt man uns wieder in eine Zelle.«
Aber Dad lacht nur. »Ach, übertreib doch nicht, Gracie.«
»Ich bin Joyce, verdammt, Dad«, zische ich.
»Na gut, Joyce verdammt, du brauchst dir ja nicht gleich ins Hemd zu machen.«
»Anscheinend verstehst du den Ernst der Lage nicht ganz. Wir haben einen viktorianischen Papierkorb im Wert von siebzehnhundert Pfund aus einem Königspalast gestohlen und darüber live im Fernsehen berichtet.«
Dad schaut mich an, die buschigen Augenbrauen fast bis zum Haaransatz hochgezogen. Zum ersten Mal seit langem kann ich seine Augen sehen. Sie sehen alarmiert aus. Und in den Ecken ziemlich wässrig und gelb. Aber ich nehme mir vor, ihn erst danach zu fragen, wenn wir wieder einigermaßen in Sicherheit sind und nicht mehr jeden Moment mit dem Gesetz in Konflikt geraten können. Oder mit der BBC .
Das Mädchen, dem ich vorhin auf der Suche nach Dad nachgelaufen bin, starrt mich mit großen Augen von der anderen Seite des Raums an. Mein Herz rast in Panik, ich sehe mich hektisch um. Leute starren uns an. Sie wissen Bescheid.
»Okay, wir müssen gehen. Ich glaube, man hat uns durchschaut.«
»Ist doch nicht so schlimm. Wir stellen den Kübel einfach zurück.« Aber er hört sich an, als wäre es
total
schlimm. »Wir haben das Ding ja nicht mit nach draußen genommen – also ist es kein Verbrechen.«
»Okay, jetzt oder nie. Greif es dir, damit wir’s zurückbringen können, und machen wir, dass wir hier rauskommen.«
Ich lasse die Augen über die Menge schweifen, um mich zu vergewissern, dass uns keine großen starken Männer folgen, die schon kampflustig mit den Fingergelenken knacken und ihre Baseballschläger schwingen. Nur das Mädchen mit dem Headset, und mit der kann ich es bestimmt aufnehmen. Falls ich es nicht schaffe, kann Dad ihr immer noch mit seinem harten Spezialschuh einen Schlag auf den Schädel verpassen.
Endlich tut Dad, was ich ihm sage, greift sich den Kübel vom Tisch und versucht ihn unter seinem Mantel verschwinden zu lassen. Was ein ziemlich sinnloses Unterfangen ist, denn das Ding passt nicht mal zu einem Drittel darunter, und als ich ihm einen strafenden Blick zuwerfe, holt er ihn wieder hervor. So bahnen wir uns einen Weg durch die Menge, ignorieren die Glückwünsche und freundlichen Worte der Umstehenden, die anscheinend glauben, wir hätten im Lotto gewonnen. Als ich mich umwende, sehe ich, dass sich auch das Mädchen mit dem Headset einen Weg durch die Menge bahnt.
»Schnell, Dad, schnell.«
»Ich tu, was ich kann.«
Wir schaffen es zur Tür der Halle, lassen die Menschenmenge hinter uns und halten zielsicher auf den Haupteingang zu. Ehe ich die Tür hinter uns zumache, schaue ich mich noch einmal um. Jetzt spricht das Mädchen aufgeregt in ihr Headset und versucht zu rennen, wird aber von zwei Männern in braunen Overalls aufgehalten, die einen Schrank durch den Raum tragen. Ich entreiße Dad das Gefäß, und sofort gewinnen wir an Tempo. Unten an der Treppe schnappen wir uns noch schnell unser Gepäck aus der Garderobe, und dann schaukeln wir rauf, runter, runter, rauf, durch den Korridor, über den Marmorboden.
Als Dad gerade die Hand auf den überdimensionierten Goldknauf der Eingangstür legt, hören wir den Ruf: »Stopp! Warten Sie!«
Abrupt halten wir inne und sehen uns ängstlich an. »Lauf!«, gebe ich Dad mit lautlosen Mundbewegungen zu verstehen. Er
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