Ich hab dich im Gefühl
keucht Kate.
»Was redet ihr denn da?«, frage ich stirnrunzelnd und blicke mich um. Hinter mir ist Big Ben, und als ich mich wieder umdrehe, sehe ich in der Ferne das Kamerateam. Und höre sofort auf zu hopsen.
»Was in aller Welt macht die Frau denn da?«, fragt Dr. Montgomery und geht näher an den Fernseher. »Soll das vielleicht irgendein Tanz sein?«
»Hönn hi hie heen?«, fragt Justin, der die Wirkung der Betäubung jetzt deutlich spürt.
»Natürlich kann ich sie sehen«, antwortet der Zahnarzt. »Ich glaube, sie macht uns den Hokey Cokey. Linkes Bein zurück«, beginnt er zu singen. »Rechtes Bein nach vorn. Zurück. Vor. Zurück. Vor. Und schütteln!« Er tanzt im Zimmer herum. Rita verdreht genervt die Augen.
Justin ist zwar sehr erleichtert, dass er sich nicht nur eingebildet hat, Joyce zu sehen, fängt aber an, ungeduldig im Stuhl herumzurutschen.
Ich muss zu ihr!
Dr. Montgomery wirft ihm einen komischen Blick zu, schiebt ihn energisch in den Stuhl zurück und stopft ihm wieder die Instrumente in den Mund. Justin gurgelt und macht Kehllaute.
»Es nützt nichts, wenn Sie mir das erklären, Justin, Sie bleiben jetzt hier, bis ich das Loch ordentlich geflickt habe. Gegen den Abszess müssen Sie Antibiotika nehmen, und beim nächsten Mal ziehe ich den Zahn entweder oder wir machen eine Wurzelbehandlung. Je nachdem, in welcher Stimmung ich grade bin«, fügt er hinzu und lacht albern. »Und wer immer diese Joyce sein mag, Sie können sich bei ihr bedanken, dass sie Ihre krankhafte Angst vor Spritzen kuriert hat. Sie haben es nicht mal gemerkt, als ich sie Ihnen verpasst habe.«
»I ha hu hehehe.«
»Oh, schön, junger Mann. Ich habe auch schon Blut gespendet. Ein gutes Gefühl, nicht wahr?«
»Aaa. Hi ha he hu.«
Dr. Montgomery wirft den Kopf in den Nacken und lacht laut. »Ach, seien Sie nicht albern, die verraten einem nie, wer das Blut bekommt. Außerdem wird es in seine Komponenten zerlegt, Blutplättchen, rote Blutkörperchen und was noch alles.«
Justin gurgelt.
Wieder lacht der Zahnarzt. »Welche Muffins hätten Sie denn gern?«
»Aa.«
»Banane?« Dr. Montgomery denkt nach. »Ich persönlich mag Schokolade ja lieber. Absaugen, Rita, absaugen, bitte.«
Völlig verwirrt steckt Rita das Röhrchen in Justins Mund.
Dreiundzwanzig
Schließlich schaffe ich es, ein schwarzes Taxi heranzuwinken, und ich schicke den Fahrer in Richtung des energischen alten Mannes, der leicht identifizierbar wie ein betrunkener Seemann mit horizontalen Schaukelbewegungen durch den vertikalen Strom der Menge schwankt. Wie ein Lachs schwimmt er stromaufwärts, bahnt sich einen Weg gegen den Strom der anderen Passanten in die entgegengesetzte Richtung. Aber nicht, weil er es so toll findet und absichtlich anders sein will – er merkt nicht mal, dass er ein Außenseiter ist.
Ihn so zu sehen erinnert mich an eine Geschichte, die er mir erzählt hat, als ich noch so klein war, dass mir mein Dad riesig erschien wie die Eiche im Nachbarsgarten, die über die Mauer ragte und Eicheln auf unseren Rasen fallen ließ. Das tat sie immer in den Monaten, in denen man nicht draußen spielen konnte und den Nachmittag stattdessen damit verbrachte, aus dem Fenster in die graue Welt hinauszustarren. Draußen musste man dann auch Handschuhe tragen, die an einer Kordel aus den Mantelärmeln hingen. Der heulende Wind blies die mächtigen Äste der Eiche hin und her, wuuusch machten die Blätter, von links nach rechts, genau wie mein Dad, ein wackliger Kegel am Ende der Kegelbahn. Aber weder mein Vater noch die Eiche kippte jemals um. Im Gegensatz zu den Eicheln, die wie panische, unversehens aus dem Flugzeug geschubste Fallschirmspringer oder aufgeregt auf die Knie fallende Windanbeter von den Zweigen hüpften.
Als mein Dad noch stämmig wie eine Eiche war, erzählte er mir oft die Geschichte von dem Lachs, wenn ich in der Schule schikaniert worden war, weil ich mal wieder am Daumen gelutscht hatte. Dieser Lachs hatte Haselnüsse gegessen, die in den Brunnen der Weisheit gefallen waren. Dadurch besaß er nun das ganze Wissen der Welt, und dieses Wissen würde an den weitergegeben werden, der als Erster etwas von diesem Lachs aß. So versuchte der Dichter Finneces sieben Jahre lang, den Lachs zu fangen, und als er ihn endlich erwischte, gab er seinem Lehrling Fionn die Anweisung, ihn zuzubereiten. Als aber ein Fettspritzer von dem brutzelnden Fisch auf seinem Daumen landete, steckte Fionn ihn rasch in den Mund, um den
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