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Ich hab dich im Gefühl

Ich hab dich im Gefühl

Titel: Ich hab dich im Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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dieses Tages so deutlich wie den Drink, den ich jetzt in meinem Mund schmecke und der mir durch die Kehle fließt. Kalt und süß. Alles ist genauso real wie die Augenblicke, die ich mit Bea im Park verbracht habe.
    »Ich muss die Brille aufsetzen«, verkündet Dad, beugt sich näher heran und nimmt das goldene Medaillon in seine alten Hände. »Wo sind die Bilder gemacht worden?«
    »In einem Park ganz in der Nähe von unserem früheren Haus. In Chicago. Auf dem Foto mit meinem Dad bin ich fünf Jahre alt, und ich liebe dieses Bild. Es war so ein schöner Tag.« Zärtlich blickt sie darauf. »Einer der schönsten Tage meines Lebens.«
    Auch ich lächle und erinnere mich daran.
    »Stellt euch auf zum Gruppenfoto!«, ruft jemand in der Bar.
    »Machen wir, dass wir rauskommen«, flüstere ich Dad zu, während Bea von dem Trubel, der jetzt losgeht, abgelenkt wird.
    »Gut, Liebes, sobald ich das Pint ausgetrunken habe …«
    »Nein, jetzt!«, zische ich.
    »Es gibt ein Gruppenfoto! Kommen Sie mit!«, sagt Bea, packt Dad am Arm und zieht ihn weg.
    »Oh!« Dad macht ein hocherfreutes Gesicht.
    »Nein, nein, nein!« Ich bemühe mich zu lächeln, damit man meine Panik nicht sieht. »Wir müssen jetzt wirklich gehen.«
    »Bloß ein einziges Bild, Gracie«, ruft Bea. »Wir brauchen doch ein Foto von der Frau, die für all die wunderschönen Kostüme verantwortlich ist.«
    »Nein, ich bin nicht …«
    »Sie sind die Kostüminspizientin«, korrigiert Bea sich sofort.
    Eine Frau auf der anderen Seite der Gruppe wirft mir einen verängstigten Blick zu, als sie das hört. Dad lacht laut. Steif stehe ich neben Bea, die den einen Arm um mich und den anderen um ihre Mutter legt.
    »Und jetzt rufen wir Tschaikowski!«, ruft Dad.
    »Tschaikowski!«, jubeln alle.
    Ich rolle mit den Augen.
    Die Kamera blitzt.
    Justin betritt den Raum.
    Die Menge geht auseinander.
    Ich packe Dad und renne davon.

Sechsundzwanzig
    Als wir wieder im Hotelzimmer ankommen, ist für Dad und mich Schlafenszeit. Wir klettern ins Bett, er in seinem braunen Paisley-Schlafanzug, ich in meinen Nachtklamotten – so viel wie heute habe ich seit langem nicht mehr zum Schlafen angehabt.
    Im Zimmer ist es stockdunkel und still, alles voller Schatten, nur die roten Ziffern auf dem Display des Fernsehers blinken. Flach und reglos auf dem Rücken liegend versuche ich die Ereignisse des Tages zu verarbeiten. Mein Herz beginnt wieder zu pochen, bis es einer Zulutrommel ähnelt. Ich spüre, wie die Schläge gegen die Matratzenfedern wummern, dann vibriert der Puls in meinem Hals so heftig, dass auch mein Trommelfell mit einstimmt. Unter meinen Rippen scheinen zwei Fäuste zu hämmern, und ich beobachte die Zimmertür in der Erwartung, dass gleich eine afrikanische Tanzgruppe hereinmarschiert, um mit stampfenden Füßen ihre Kunst zu zeigen.
    Der Grund für dieses innere Getrommel? Immer und immer wieder kreisen meine Gedanken um das, was Bea vor wenigen Stunden rausgerutscht ist. Die Worte sind aus ihrem Mund gehüpft, als würde sich das Becken vom übrigen Schlagzeug lösen. Seither ist es auf dem Boden herumgerollt, und erst jetzt landet es krachend auf einer Stelle und beendet meine afrikanische Trommelsymphonie. Die Information, dass Beas Vater – Justin – vor einem Monat in Dublin Blut gespendet hat, im gleichen Monat, in dem ich die Treppe hinuntergefallen bin und sich mein Leben für immer verändert hat, lässt mir keine Ruhe mehr. Zufall? Ja. Oder mehr als ein Zufall? Eine vage Möglichkeit. Aber eine Möglichkeit, die mich mit Hoffnung erfüllt.
    Aber wenn ein Zufall doch bloß ein Zufall ist? Sollte man wirklich mehr in einen Zufall hineininterpretieren? In einer Zeit wie dieser? Ich bin verloren und verzweifelt, ich traure um ein Kind, das nie geboren wurde, ich lecke mir nach einer gescheiterten Ehe die Wunden. Ich merke doch, dass alles, was früher einmal klar war, auf einmal undeutlich geworden ist, verschwommen, und dass das, was mir einmal grotesk erschien, sich als ganz neue Alternative präsentiert.
    In schwierigen Zeiten sehen die Menschen klar, auch wenn viele andere ihnen besorgt dabei zuschauen und versuchen, ihnen das Gegenteil einzureden. Schwer sind solche Zeiten ja auch deshalb, weil einem so viele neue Gedanken durch den Kopf gehen. Wenn diejenigen, die ihre Schwierigkeiten überwunden und hinter sich gelassen haben, ihre neuen Erkenntnisse von ganzem Herzen annehmen und sie mit offenen Armen willkommen heißen, wird dies von ihrer Umwelt

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