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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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kein Paradies für Lesben, denn weder existiert dieser Begriff, sogar die Vorstellung einer solchen Lebensweise ist kaum möglich, noch ist der Eintritt in die Ehe damit in Frage gestellt. Ein Lebensweg außerhalb der Ehe ist für Frauen nicht vorgesehen. Allein dieses Diktat der Eheschließung sollte doch alle Multi-Kulti-Toleranten aufhorchen lassen – und Frauen sowieso!
    Auch ich habe meine ersten sinnlichen und sexuellen Erfahrungen mit einer Freundin gemacht. Wir waren 13 und wussten, dass wir »das« heimlich tun mussten, aber es fühlte sich schön und nicht böse an. Wir hätten »es« auch nie Sexualität genannt, Sexualität begann in der Hochzeitsnacht mit der Entjungferung. Wir umarmten uns einfach nackt beieinanderliegend und streichelten unsere Körper.
    Vermutlich hätte ich diese Lust mit einer Freundin in jedem Fall ausprobiert, aber nichtsdestotrotz vermisste ich es sehr, mit Jungs ungezwungen umgehen zu dürfen. Ich erinnere mich an einen Abend im Winter, als wir um den Tisch mit der Familie meines Onkels saßen und zu Abend aßen. Über unsere Beine war eine große Decke gelegt, damit der Holzkohleofen unter dem Tisch alle Füße und Beine wärmen konnte. Neben mir saß ein Cousin, der ungefähr im gleichen Alter wie ich war. Plötzlich spürte ich einen Fuß, der an mein Bein strich. Ich merkte, dass er mich verstohlen anschaute, und lächelte ihn vorsichtig an, hoffend, dass es keiner der Erwachsenen mitbekam. Während des ganzen Essens füßelten wir heimlich, mein Herz schlug vor Aufregung, und ich fühlte in meinem Bauch ein unbekanntes Prickeln, welches aufregend war und Lust auf »mehr« machte.
    Wie ich Atheistin wurde
    Ich habe als Kind fünfmal am Tag gebetet, so hatte ich es von meiner Mutter gelernt, so haben es alle in der Familie gemacht. Mit neun Jahren fing man an, niemand lehrte es einen, sondern man machte einfach mit. Auf der Straße mussten wir den Tschador erst ab dem 12. Lebensjahr tragen, beim Gebet aber verhüllte man sich immer. Der Kopf ist demütig zu senken, man blickt dort auf den Boden, wo man ihn mit der Stirn bei der Verneigung vor Allah berührt. Die totale Unterwerfung unter Gottes Willen, die totale Lossagung eines eigenen Willens außer dem, alles Denken und Tun nach seinen Geboten auszurichten, wird damit fünfmal täglich demonstriert. Man spricht nie frei zu Gott, sondern arabische Suren, zunächst die erste des Koran, Verse 1 bis 7: »Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen! Lob und Preis sei Allah, dem Herrn aller Weltenbewohner, dem gnädigen Allerbarmer, der am Tage des Gerichts herrscht. Dir allein wollen wir dienen, und zu dir allein flehen wir um Beistand. Führe uns den rechten Weg, den Weg derer, welche sich deiner Gnade freuen – und nicht den Pfad jener, über die du zürnst oder die in die Irre gehen!« Natürlich in Arabisch.
    Dann folgen weitere Suren, deren Auswahl ich nicht verstanden, aber auch nicht hinterfragt habe. Ich habe dieses Ritual den Erwachsenen und meinen älteren Geschwistern einfach nachgemacht. Das Beten hat keinen anderen Sinn als den, unhinterfragt zu tun, was Gott will. Als Lohn ist jedes Gebet ein Schrittchen hin zum Paradies, weg vom Abgrund der Hölle.
    Meine Mutter traf sich mit den Frauen des Dorfes ungefähr einmal im Monat zur religiösen Unterweisung. 20 bis 30 Frauen kamen in einer Wohnung zusammen, dort begrüßten sie sich herzlich mit einer kurzen Umarmung und redeten, über ihre Kinder, ob der neue Dorfschullehrer so gut war wie der alte, der nach Teheran gegangen war, wie die Bohnenernte dieses Jahr ausfiel. Vor jedem dieser Treffen wusch sich meine Mutter und zog frische Kleidung und den Tschador an, ein Gefühl von Feierlichkeit und Vorfreude umgab sie wie sonst zu keiner Gelegenheit. Als Kind ging ich manchmal mit zu diesen Treffen, dort spielte ich mit den anderen Kindern. Nach einiger Zeit, vielleicht einer halben Stunde, rief eine der Frauen von der Tür, dass der Mullah käme. Wir Kinder wurden in eine Ecke gescheucht, wo wir still auf dem Boden hocken mussten, und die Frauen setzten sich in einen Kreis, auch auf den Boden. Ein Sessel stand in den Kreis einbezogen, dort nahm der Mullah Platz und predigte. Allah ist groß, fing er an, und die Frauen wiederholten im Chor »Allah ist groß«. Dann sprach er von Hussein und seinem Tod, vom Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen und dass man als Gläubiger, auch als Frau, nach dem Tod ins Paradies kommen könne. Ich staunte jedes Mal, wie die Frauen, auch

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