Ich habe abgeschworen
kaufen. Meine Mutter schimpfte dann mit ihm. Sie war in Sorge, dass ich das Leben mit dem Tschador dann noch mürrischer nehmen würde. Und sie hatte recht, meine Schwester Mariam war viel stoischer darin, die Dinge hinzunehmen, wie sie eben waren. »Man kann doch nichts ändern«, versuchte sie mir manchmal beizubringen. Was mir nur ein trotziges »ich schon!« entlockte. In unserem Dorf bin ich die anderen neun Monate des Jahres auf der Straße natürlich trotzdem weiter mit einem Tschador bekleidet gegangen. Wie sollte ich dabei nicht murren: In Teheran brach keine unkontrollierte Anarchie aus, wenn Männer unbedeckte Frauenhaare – und sogar Frauenbeine – sahen. Weshalb sollte das auf dem Land anders sein? Aber ich wusste, dass ich in Abhar nicht einfach in einem Rock mit Bluse über die Straße gehen konnte. Ich verstand nicht warum, es schien, als herrsche Allah auf dem Land anders. Diese Zerrissenheit verfolgte mich bis in meine Träume: Nachts habe ich jahrelang immer wieder geträumt, ich sei in Abhar auf der Straße unterwegs und hätte keinen Tschador an, sondern tatsächlich nur einen Rock mit Bluse. Einen wadenlangen dunkelroten Rock und eine hochgeschlossene Bluse, cremefarben mit Blümchenmuster. Alle starren mich an, die Frauen in ihren Schleiern, die Männer anklagend und in Sorge um ihren Sexualtrieb, die Kinder werden wegen meines Aussehens in die Häuser gescheucht. Ich fühle mich wie nackt vor all diesen Menschen und suche verzweifelt meinen Tschador. Schließlich bin ich aus diesen Träumen immer schweißnass aufgewacht.
Die Welt in Teheran brachte mich mit neuen Möglichkeiten in Kontakt. Einerseits waren offensichtlich nicht alle Frauen unter einen Schleier gebannt – und sie sahen dabei aus, als würden sie Freude haben, wenn sie im Café saßen, Kaffee tranken, lachten, sich mit Männern und anderen unverhüllten Frauen unterhielten, rauchten. Aus heutiger Sicht ist es paradox: Da lebte ich in einer brutalen Diktatur, in der der Schah viele Menschen verhaften, foltern, hinrichten ließ – und ich erfuhr mehr darüber, dass ich in manchen Dingen die Wahl hatte, dass eben nicht alles von Gott bestimmt ist, als manches Mädchen in einer heutigen streng islamischen Familie in Deutschland, einem demokratischen Land. Denn diese Mädchen sehen zwar dieselben Möglichkeiten wie ich damals in Teheran, doch viele von ihnen sind schon tief indoktriniert mit der Angst vor den Verlockungen des Satans. Dann sehen sie zwar andere Mädchen, die nicht verschleiert sind, die schwimmen, die Freunde haben, aber wollen schon selbst nicht mehr mit deren Welt in Kontakt kommen, denn die ist in ihren Augen unislamisch.
Mein Großvater hat nach seiner Scheidung nicht mehr geheiratet, hatte aber eine Freundin, eine Sängerin. Was das genau hieß, eine Freundin haben, das haben wir damals als Kinder noch nicht verstanden, aber er sagte immer, er wolle nicht mehr heiraten, und diese Frau nannte er seine Freundin.
1967 änderte der Schah die Scheidungsgesetzgebung, Männer konnten sich nur noch erschwert scheiden lassen, Frauen war es nun auch möglich, nach einer Scheidung das Sorgerecht für ihre Kinder zu erhalten. Ein Fortschritt, der nicht wirklich bis in die Dörfer drang. Vielleicht, weil die Ablehnung des Schahs zu groß war, der sich im gleichen Jahr, an seinem 48. Geburtstag, zum Kaiser krönte.
Auch der Antiamerikanismus wurde durch das Regime geschürt: Die Aufrüstung Irans zur größten Militärmacht der Region geschah zunächst mit US-Krediten, später waren bis zu 41 000 militärische und 20 000 zivile US-Berater im Iran. Der Mehrheit der Bevölkerung blieb Wohlstand ein Fremdwort – der Schah schwelgte in amerikanischem Luxus. Dies hat es Khomeini und seinen Nachfolgern zumindest erleichtert, den Hass des Volkes auf den Schah und die USA anschwellen zu lassen, wie der Sturm auf die amerikanische Botschaft oder die unzähligen Demonstrationen gegen Amerika zeigten.
Wenn wir nach dem Sommer aus Teheran nach Hause kamen, fühlte ich mich wie aufgetankt und fragte meine Mutter oft, warum wir nicht ganz dort leben könnten. Aber sie hatte nicht das Geld dafür, sie war von dem kostenfreien Wohnen bei ihrem Schwager abhängig, denn ihre kleine Rente als Witwe eines Lehrers reichte kaum, uns mit dem Nötigsten zu versorgen. Das war für mich schwer zu verstehen, als Jugendliche kam mir das Dorf nach dem Sommer so eng vor wie die Luft unter dem Tschador. Unter dem Tschador habe ich weiter versucht,
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