Ich habe abgeschworen
Zeit der Orientierung hin zu Aufklärung, Individualität und positiv selbst bestimmter Freiheit. Wie in vielen Umbrüchen der Weltgeschichte nutzte der nächste Diktator diese Zeit der Verunsicherung durch die neue Freiheit dazu, den Menschen eine scheinbare Sicherheit zu bieten – wenn sie ihm nur folgten. In einer sozial unsicheren Zeit des Umbruchs tendieren Menschen seit Menschengedenken dazu, regressive Lösungen zu suchen – wenn ihnen nicht die Chance geboten wird, die neue Freiheit selbst positiv zu füllen. Zudem stand Khomeini als vermeintlich antiwestliche Lösung da. Denn dass die USA, denen die Rechte der Menschen außerhalb ihrer Staatsgrenzen auch im Fall des Iran schlicht egal waren (und bis heute sind), keine positive Alternative waren, ist völlig einsehbar.
Dass ich in der Diktatur gelernt habe, den Wert und die Rechte des Einzelnen zu schätzen und dafür einzutreten, habe ich vor allem dem Recht auf Bildung zu verdanken. Denn erst, wer verschiedene Möglichkeiten und Ansichten kennenlernt, kann lernen zu entscheiden und Verantwortung für seine Entscheidungen zu übernehmen.
Die islamische Revolution im Iran und der Gottesstaat
Vor der Revolution: Das Regime des Schahs
I m Jahr 1976 begann ich mein Medizinstudium in der Millionenstadt Tabriz. Meinen Traum, Physik zu studieren, musste ich aufgeben, da mit dem Abschluss meines nicht streng naturwissenschaftlichen Gymnasiums nach den Regeln des Landes maximal ein Studium der Medizin möglich war. Als mir meine Lehrer das erklärten, schrieb ich einen Protestbrief an das Kultusministerium und wurde in das Büro des Direktors zitiert, der eine Anfrage bezüglich seiner aufmüpfigen Schülerin bekommen hatte. Er sagte mir, ich könne nicht mit dem Kopf durch die Wand, doch ich wollte das nicht einsehen. Ich unterhielt mich mit meinen Klassenkameradinnen auch immer mehr über die Verschwendungssucht des Schahs, der nicht in die Entwicklung des Landes investierte, sondern lieber Champagner fließen ließ. Die Bilder der »Kaiserin« Farah Diba Pahlavi, der Frau des Schahs in ihren Luxusgewändern, standen in zu großem Gegensatz zu unseren Lebensverhältnissen und denen der vielen Menschen im Lande, die wirklich arm waren. Ein Mädchen, Rahele, hatte in einem Schulaufsatz Farah Diba Pahlavi als verschwenderisch bezeichnet. Daraufhin wurden sie und ihre Eltern von der Savak, der Geheimpolizei des Schahs, zu einem Verhör in die Hauptstadt unserer Provinz, nach Sandjan, gefahren. Erst nach zwei Tagen kamen sie wieder, und Rahele war sehr still. Wir Klassenkameradinnen ließen sie nicht in Ruhe, bis sie schließlich sagte, sie sei auch nach uns gefragt worden und insbesondere nach mir. Mich durchfuhr ein tiefer Schreck. Proteste im Klassenzimmer schienen mir bis dahin mit keiner besonderen Gefahr verbunden zu sein, aber dem Savak bekannt zu sein, das war etwas ganz anderes. Schließlich war ich gerade erst 16 Jahre alt geworden. Der Geheimdienst Savak war von Schah Reza Pahlavi 1957 gegründet worden. Vier Jahre zuvor war er durch einen von Washington und London mithilfe des CIA organisierten Putsch zum zweiten Mal an die Macht gekommen. Diese hatten den nationalistisch ausgerichteten Premierminister Mossadegh loswerden wollen, der eine Landreform mit der Zerschlagung des alten Feudalsystems durchführte und versuchte, der iranischen Führung mehr Einfluss auf die Ölförderung im eigenen Land zu geben. Reza Pahlavi hatte die Macht von seinem Vater zuerst 1941 übernommen, dieser hatte 1925 die Dynastie der Kadscharen gestürzt, die das Land seit Ende des 18. Jahrhunderts regiert hatte, und sich zum Schah ernannt. 1941 musste er auf Druck der Alliierten abdanken und die Macht seinem Sohn überlassen – Iran war offiziell neutral geblieben, hatte jedoch deutliche Sympathien für das nationalsozialistische Regime in Deutschland gezeigt.
Nach Raheles Rückkehr beschloss ich, die letzten beiden Schuljahre unauffällig zu bleiben und mich darauf zu konzentrieren, ein gutes Abitur zu machen, um dann zum Studium fortzuziehen aus unserem Dorf. Der Schrecken und die Angst vor Verhaftung und Folter waren mir das erste Mal in meinem Leben tief in die Glieder gefahren. Ein sehr gutes Abitur – das beste meines Jahrgangs – habe ich dann wirklich gemacht, und meine Bewerbung in der eine Tagesreise entfernten Großstadt Tabriz um ein Medizinstudium wurde angenommen. Mein Bruder Sohrab, der sich nach dem Wegzug unseres älteren Bruders nach Teheran ganz als
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