Ich habe abgeschworen
und dann in ein recht kleines Dorf, wo sich damals Partisanen der Komalah aufgehalten haben. Da die Reise von der Komalah geplant worden war, erwarteten mich einige ihrer Mitglieder. Die Waffen, die sie bei sich trugen, waren ein für mich ungewohnter Anblick, ich ahnte noch nicht, wie schnell ich mich daran gewöhnen und diesen Anblick in den nächsten zehn Jahren sogar alltäglich finden würde. Einige hatten meinen Mann gekannt, der vor zwei Jahren, kurz vor Beginn unserer Liebe, mehrere Monate unter ihnen gelebt hatte. Sie sprachen mir in kurzen Worten ihr Beileid aus und lobten Esmail als tapferen Kämpfer und guten Freund. Ich schlief die erste Nacht seit über einem Jahr tief und fest durch, ohne Angst vor Verhaftung! Als ich morgens aufwachte, fühlte ich nicht mehr diesen Druck in meiner Brust, der mich das ganze letzte Jahr nie verlassen hatte.
Die Jahre zuvor war ich schon zwei- oder dreimal in Kurdistan gewesen, mit Susan zusammen hatte ich Medikamente und Kleidung gebracht, die wir in Tabriz gesammelt hatten. Kurdistan war 1981 bis auf wenige Ausnahmen frei vom islamischen Regime. Die Komalah hatte 2000 bis 3000 Mitglieder und wurde von der Bevölkerung unterstützt. Wir mussten uns in den nächsten Jahren immer weiter zurückziehen, am Ende haben wir auch die Grenze zum Irak überschritten, denn das Grenzgebiet unterstand weder Teheran noch Bagdad, dort war einfach nur Krieg.
Dem islamischen Regime war ich erst einmal entkommen. Dass ich 25 Jahre später gegen das Vorrücken des politischen Islam in Europa kämpfen würde, hätte ich damals nicht für möglich gehalten, ich habe nicht im Traum daran gedacht!
In Kurdistan, quer über das irakisch-iranische Grenzgebiet verteilt, gab es seit der iranischen Revolution eine sogenannte Freie Zone. Hier hielten sich verschiedene Widerstandsgruppen auf, neben der Komalah auch Kämpfer anderer kurdischer Parteien und der Fedayi. Die Freie Zone wurde Ende der 80er-Jahre im Lauf des Kriegs zwischen Iran und Irak immer kleiner, war aber in der ersten Hälfte der 80er ein großes Gebiet, in der Breite von Bukan im Iran bis Rahiya im Irak, und erstreckte sich über Hunderte Kilometer von Norden nach Süden.
Als ich nach Kurdistan kam, war ich alleine, ohne Familie, ohne Freunde, ohne Mann. Deshalb habe ich zunächst in einem der sogenannten Frauenzimmer im Lager geschlafen, mit anderen Frauen, die wie ich ohne Mann waren. Rund zehn Frauen lebten auf 20 qm. Das war sehr eng, man hatte keinen Raum für sich, schon gar keine Intimsphäre. Viele Männer hatten Zelte zu zweit oder zu dritt, aber die Frauen waren in Massenlagern untergebracht. Ich kann noch heute nicht gut schlafen, wenn ich mit mehreren Menschen in einem Raum bin – und wenn ich das deutsche Wort Frauenzimmer höre, muss ich an dieses Zelt denken, und mich schaudert. Ich musste zwar nicht mehr den Unterschlupf wechseln, aber gerne hätte ich aus einem Dorf von unterwegs meine Mutter angerufen oder meine Schwester Mariam, aber das wäre zu gefährlich gewesen. Auch vermisste ich meine Freundin Susan.
Später im Zentrallager haben zwei bis drei Frauen ein Zelt geteilt, dort konnte man eher Ruhe finden nach der Arbeit. Es war oft kalt, im Winter schneite es in den Bergen, und die Zelte hielten die Kälte nur begrenzt draußen. Zudem waren manche Tiere durchaus gefährlich. Ich wachte einmal im Schlaf auf und sah eine Schlange. Ich sprang schnell auf und lief aus dem Zelt. An einem kalten und nassen Dezembertag kamen wir drei Frauen abends zu unserem Zelt – und es war umgefallen. Wir bauten es in der Dunkelheit wieder auf. In dieser Nacht begann der Verschleiß meines Knies, das mich bis heute plagt. In dieser Nacht spürte ich zum ersten Mal Schmerzen nach dem stundenlangen Arbeiten im Regen. Nässe und Kälte war vor allem im Winter in den kurdischen Bergen kaum zu entkommen. Die Strapazen hinterließen bei den meisten bleibende Spuren – bei mir zeugen bis heute kranke Knie davon.
Mittags um zwölf Uhr gab es ein gemeinschaftliches Essen in einem sehr großen Zelt mit vielen langen Tischen. Nachmittags wurde es als Gemeinschaftszelt genutzt, hier konnte man schreiben oder lesen. Abends gab es im Zelt wieder Essen und manchmal ein Fest oder Diskussionen. Der Tag endete um zehn oder elf Uhr. Mit der Zeit haben wir kleine Hütten gebaut, die letzten zwei Jahre habe ich mit meinem zweiten Mann in so einer Hütte, einem kleinen, aber befestigten Raum, gelebt. Auch das Badezimmer war ein befestigter
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