Ich habe abgeschworen
wir uns wiedersähen. Sie waren die letzten Freunde, die ich vor meiner Flucht sah, und ich hatte keine Ahnung, ob ich diese überleben würde. Wir umarmten uns mit einem sehr ungewissen »Auf Wiedersehen«. Ich sah die beiden tatsächlich wieder, allerdings über zehn Jahre später und durch einen Zufall, mitten in Köln.
Anfang der 90er-Jahre, ich lebte zu dieser Zeit in Wien, wurde ich nach Köln eingeladen, um eine Rede auf einer Veranstaltung von Exiliranern zu halten. Auf dem Plakat stand in Persisch »Mina Ahadi: Frauenrechte im Iran«. Ein Mann kam auf mich zu: »Mina, erkennst du mich?« »Nein«, sagte ich und überlegte, wer denn dieser glatzköpfige Mensch sein könnte. Er sagte: »Ich gehe auf die Toilette, bis ich wiederkomme, hast du dich an mich erinnert.« Ratlos schaute ich ihm hinterher und fragte die Leute um mich herum, wer er denn sei. Als ich den Namen hörte, wusste ich, er ist der Freund aus meiner letzten Nacht in Teheran! Als er wieder in den Saal kam, begrüßte ich ihn herzlich und fragte nach seiner Frau. Die beiden lebten inzwischen in einer kleineren Stadt bei Düsseldorf, und am nächsten Tag besuchte ich sie mit meinem Mann und meiner kleinen Tochter. Es war ein freudiges Wiedersehen. Als ich einmal mit der Frau in die Küche ging, um Getränke zu holen, nahm sie mich zur Seite und meinte, sie hätte mir etwas zu gestehen: »Es tut mir sehr leid. Wir haben deinen Ehering verkauft. Wir haben damals hin und her überlegt, aber auf der Flucht durch die Türkei hatten wir kein Geld mehr, und unsere Älteste, die damals sieben war, wurde sehr krank mit hohem Fieber und Durchfall. Wir brauchten einen Arzt, aber konnten ihn und die Medizin nicht bezahlen. Schließlich haben wir nachgegeben und den Ring verkauft.« Scheu schaute sie mich an, und ich beeilte mich zu erwidern, dass der Ring wichtig war, aber das Leben und die Gesundheit ihres Kindes doch viel wichtiger. Und ich erinnerte sie an meine Worte, dass der Ring bei ihnen bleiben solle, bis wir uns wiedersähen – schließlich hatten wir uns wiedergetroffen, auch ohne Ring! Es rührte mich an, wie ernst sie meine Geste der Freundschaft genommen haben. Doch ich merkte, noch als ich es aussprach, wie ernst ich es meinte: Kein Ring der Welt war so viel wert wie das, was wir gerade erlebten, ein Wiedersehen in Sicherheit. Doch bis dahin war es noch ein langer Weg gewesen, damals, in jener Nacht auf dem Flachdach in Teheran.
Die Reise nach Kurdistan war sehr gefährlich, die Grenzregion wurde scharf kontrolliert, denn natürlich war ich nicht die Einzige, die auf diesem Weg vor dem Regime floh. Zudem wollten die Machthaber verhindern, dass die Partisanen in den kurdischen Bergen Zuwachs bekamen. Zu jener Zeit hatten diese noch ein sehr großes Gebiet in der Grenzregion Iran/Irak unter ihrer Kontrolle.
Ich bin mit Shaadi Richtung Kurdistan gefahren, von Teheran ging es mit dem Bus nach Sanandadsch, kurz vor der Grenze zu Kurdistan. Wir wohnten dort ein paar Tage bei einer mit Shaadi befreundeten Familie. Meine Freundin hatte die Idee, zur Tarnung und zu unserem Schutz ein kleines Kind mitzunehmen. So gab uns die Familie ein zweijähriges Kind mit, die Eltern reisten einen Tag später mit dem Auto nach Kurdistan. Damals erschien es uns ganz normal, das Kind auf die Flucht mitzunehmen. Natürlich war es in Gefahr, wenn ich entdeckt werden würde, aber die Gefahr war für uns alle so allgegenwärtig, dass es uns nicht in den Sinn kam, so an das Kind zu denken. Die Eltern liebten ihr Kind, aber sie wollten auch für dieses Kind, dass ich fliehen konnte in eine bessere Zukunft, in die Berge und den Widerstand gegen das islamische Regime.
Ich hatte einen Tschador an und wieder keine Ausweispapiere bei mir, aber das Kind auf dem Schoß. Wir kamen zum entscheidenden Kontrollpunkt, bewaffnete Polizei bestieg den Bus. Ich wurde leicht panisch, wenn man mich ohne Papiere erwischen würde, würde man mich sofort verhaften. Ich nahm das Kind und tat so, als ob ich es beruhigen müsste. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht zu schreien anfing. Die Polizisten gingen tatsächlich ohne Kontrolle an mir vorbei, sie machten nur Stichproben an diesem Tag. Shaadi hatte gültige Dokumente, sie wurde kontrolliert und durchgelassen. Die Erleichterung war wie der sprichwörtliche Stein, der mir im Moment des Weiterfahrens vom Herzen fiel, und ich küsste das verblüffte Kind in meinen Armen überschwänglich auf die Wangen.
Von Sanandadsch ging es nach Bukan
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