Ich habe abgeschworen
durch den Rätekommunismus geprägt; er war überzeugt, dass dieser nur mit freien Wahlen Bestand haben würde. Diese Überzeugung verband mich mit ihm, dass die Menschen selbst die Lebensverhältnisse für sich und alle verbessern können. Zudem sahen wir Bildung und die Geltung der Menschenrechte als Basis für den Sozialismus an. Hekmat engagierte sich immer sehr für die Frauenrechte und sah »keine Befreiung ohne die Befreiung der Frauen«. Auch war er engagierter Gegner der Todesstrafe – alles andere als selbstverständlich im illegalen Widerstand. Er war davon überzeugt, dass das Recht auf Leben ein Menschenrecht sei, und zudem sah er, dass Hinrichtungen die Ausführenden verrohten. Auf der Basis seiner Ideen bin ich bis heute Mitglied der Arbeiterkommunistischen Partei Iran. Das verursacht bei manchen ein ungutes Gefühl, Journalisten fragen mich nach meinem Verhältnis zu Stalinismus und DDR. Das ist ganz einfach: radikale Ablehnung. Gerade in Deutschland kennen die Menschen die Diktatur im Namen eines Sozialismus, der mit einer Analyse von Arm und Reich und dem Versuch einer gerechten Verteilung der Güter zum Wohlstand aller nichts mehr zu tun hat. Auch ist eine materielle Gleichheit nur von Wert auf der Basis der Meinungsfreiheit. Das ist mein Kommunismus.
Gerechtigkeit und individuelle Freiheit und individuelles Wohlbefinden gehören zusammen. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Gesellschaften, in denen die Verteilung des Wohlstands relativ gleich ist, die glücklichsten sind – nicht die absolut reichsten Gesellschaften. Und ich kann mein persönliches Glück nur gestalten und genießen, wenn ich respektvoll mit allen Menschen und der Natur umgehe, auch das ist mein Kommunismus.
Nachdem ich nach der Hinrichtung meines Mannes ein Jahr in Teheran im Untergrund gelebt hatte, sah ich über die Komalah die Möglichkeit, nach Kurdistan zu gehen, denn die iranische Regierung hatte damals das kurdische Gebiet innerhalb ihrer Staatsgrenze nicht unter Kontrolle. Ich hatte in einer meiner Unterschlupffamilien eine echte Freundin gefunden. Sie hieß Shaadi, mit ihren 50 Jahren war sie für mich schon eine ältere Frau, so alt wie meine Mutter. Shaadi lachte viel und bekam dabei Grübchen. Wenn wir bei ihr saßen und uns unterhielten, war sie immer beim Nähen. Sie nähte wunderschöne Blusen mit Stickereien, ihre drei Töchter hatten alle diese Blusen an, und auch mir schenkte sie eine. Sie schätzte mich sehr und nannte mich »meine Kleine«. Ihre Freude übertrug sich auf mich, immerzu mussten wir über die kleinsten Dinge lachen, eine Maus, die durch den Raum huschte, konnte mit Shaadi ebenso lustig sein wie der neueste Mullah-Witz. Humor war überlebenswichtig in der Illegalität, ab und zu mit jemandem Witze zu machen und herzhaft zu lachen, war im wahrsten Sinne des Wortes gesund.
Shaadi redete mir zu, nach Kurdistan zu gehen, sie sah wohl, dass meine Verzweiflung zunahm und ich trotz aller fröhlichen Stunden mit ihr anfing zu resignieren. Würde die Resignation zunehmen, würde ich mich womöglich eines Tages doch noch umbringen. Ich war mit den Nerven wirklich am Ende, in der Stadt fühlte ich mich ständig bedroht, und so war ich froh um diese Perspektive. Von heute aus betrachtet wundere ich mich, wie ich diese Situation überhaupt so lange ausgehalten habe – aber damals war ich jung und stark, stärker, als ich mich manchmal gefühlt habe. Die Komalah organisierte schließlich meine Flucht nach Kurdistan. Kurz vor meiner Abreise besuchte ich ein befreundetes Ehepaar, wir kannten uns von der Universität, sie hatten auch Medizin studiert. Es war ein wunderschöner Abend, wir unterhielten uns über die Zeit an der Universität. Es war einer dieser Abende, an dem man mit alten Freunden in Erinnerungen schwelgt, jenen Professor und seinen Sprachfehler nachmacht, über die Kommilitonin lacht, die an den Samstagsmorgen in der ersten Vorlesung immer einschlief, weil sie freitags Nachtwachen im Krankenhaus machte, und dann mit dem Kopf auf die Tischplatte knallte, dass es krachte. Es war ein Abend mit Gier nach Normalität inmitten eines Krieges. Dazu tranken wir feierlich ihre letzte Flasche Wein aus der Zeit vor der Revolution und schliefen die Nacht auf dem Flachdach ihres zweistöckigen Hauses, wie es im Iran üblich war und heute noch ist. So liegt man nach der Hitze des Tages direkt in der frischen Luft der Nacht. Am Morgen gab ich ihnen meinen Ehering und sagte, sie sollten ihn behalten, bis
Weitere Kostenlose Bücher