Ich habe abgeschworen
Sichtbarkeit weiblicher Rundungen von Brüsten und Hüften. Wir Frauen setzten unser Recht auf Bequemlichkeit durch, aber es war tatsächlich Bildungsarbeit bei einigen der Männer nötig, ihnen das begreifbar zu machen. Der Besuch in der Schule war auf drei Monate angelegt. Die Schule bestand aus 20 Zelten, wie ein Internat. Neben den Fragen nach Kleidung und Kriegstaktiken war die nach dem Umgang mit Gefangenen sehr entscheidend. So gab es in den Partisanengruppen immer mal wieder »wilde« Hinrichtungen, wenn Mitglieder der islamischen Armee gefangen genommen wurden. Mansoor Hekmat war sein ganzes Leben ein Kämpfer gegen die Todesstrafe, und ich hatte in ihm einen Gefährten in dieser Frage gefunden. Es gibt einfach keine Untat, keinen noch so grausamen Krieg und keinen noch so grausamen Diktator, die eine Hinrichtung »verdient« hätten. Die Todesstrafe verroht jede Gesellschaft, die sie einsetzt, und jede Partisanengruppe, die sie zulässt. Dies ist meine Überzeugung bis heute, und ich sehe nicht eine Hinrichtung, die diese Ansicht nicht bestätigt hätte. Zudem ist das erste Menschenrecht das auf Leben, ohne dieses kann es keine weiteren geben.
Mein zweiter Mann war einer der bewaffneten Kämpfer, die an der zweiten Schulung teilgenommen haben. Ich hatte ihn vorher nicht gekannt. Seine Partisanengruppe bestand aus rund 70 Frauen und Männern. Die Gruppe hatte zwei Vorsitzende, einen militärischen Vorsitzenden und einen politischen Vorsitzenden, das war mein zukünftiger Mann, Mohammad. Nach meinem Erlebnis mit meinem Freund hatte ich zu dem Kapitel Männer innerlich Abstand genommen. Als ich merkte, dass mir Mohammad gefiel, ich ihn attraktiv fand mit seiner charmanten Art und seinem Lachen, da wurde ich erst einmal vorsichtig. Doch ich merkte, dass ich Gefühle für ihn entwickelte. Eines Tages hatte es so heftig geregnet, dass in einige Hütten der Schule Wasser gelaufen war. Nachdem der Regen aufgehört hatte, bat ich ihn, beim Aufräumen der Schäden mitzuhelfen. Er war sehr hilfsbereit und freundlich, das mochte ich an ihm. Langsam aber sicher kam es zu immer mehr Gesprächen zwischen uns, und ich fühlte, wie meine Liebe zu ihm wuchs. Eines Abends saßen wir zu rund einem Dutzend Frauen und Männern in einer gemütlichen Runde um eine Feuerstelle. Einer der Männer foppte mich, ich solle mal sagen, was ich dachte, wer wen denn besonders mochte. So scherzte ich reihum: »Ja, du magst sie besonders, und ihr beide, ihr seid doch verliebt!« Die »Ertappten« sahen sich an und lächelten etwas verlegen, einer aber rief: »Du hast Mohammad ausgelassen, den willst du ja für dich haben!« Ich lachte mit den anderen, wusste aber, dass er recht hatte.
Mohammad erwiderte meine Gefühle, und am nächsten Tag sprachen wir über uns. Er sagte, dass ich nicht mit ihm in die Berge gehen könne, er aber bald wieder aufbrechen müsse, er gab unserer Liebe keine Zukunft. Wir kamen dennoch zusammen, unsere Gefühle waren stärker als die Vernunft. Wir haben es aber nicht offiziell bekannt gegeben, und er musste zwei Monate später zurück in die Berge. Einen weiteren Monat später bekam ich die Nachricht, er sei im Krieg gefallen. Ich brach vor Schmerz buchstäblich zusammen, wieder hatte ich einen geliebten Menschen verloren. Eine Kollegin vom Radio saß die ganze Nacht bei mir und hielt einfach meine Hand. Meine Kolleginnen und Kollegen im Radio waren alle sehr liberal, sie sahen es mit dem Heiraten nicht so eng. Am nächsten Morgen kam die Nachricht, dass er nicht tot, sondern mit Hepatitis im Krankenhaus sei, und ich war sehr erleichtert. Als er zwei Wochen später wieder ins Lager kam, fielen wir uns einfach um den Hals, und er sagte: »Lass uns heiraten!« Ich musste nicht überlegen, und so heirateten wir nach Lagersitte, also nicht in einem echten Standesamt, aber »lageroffiziell«.
Das war 1984, und seitdem leben wir zusammen. Unsere Flitterwochen waren 20 Tage Gemeinsamkeit im Lager, bevor er wieder fortmusste. Nach einem Monat Trennung bat ich das Zentralkomitee um die Erlaubnis, zu ihm gehen zu dürfen. Ich sehnte mich nach ihm, das Leben im Krieg war zu kurz, um warten zu können. Die Erlaubnis wurde mir nicht gewährt, es sei zu gefährlich, hieß es. Ich bin wieder mit dem Kopf durch die Wand, packte meine Sachen und suchte seine Partisanengruppe auf. Ich habe zwei sehr gefährliche Monate erlebt in der Kampfgruppe, jeden Tag gab es Gefechte, Flucht, immer waren wir auf der Hut. Eines Tages waren wir
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