Ich habe abgeschworen
Raum, in dem es sechs oder sieben Duschen gab. Wir haben diese Hütten aus Steinen und Holz selbst gebaut. Über die Komalah wurden Dinge wie Medikamente, Seife und Weiteres zentral besorgt, wir konnten ja nicht in den nächsten Supermarkt gehen. Meist stammten sie aus nahe gelegenen irakischen Städten. Aber es war unmöglich, Binden zu bekommen. Im Lager lebten Frauen, die jeden Monat ihre Tage hatten, und das war ein so großes Tabu, dass es offiziell einfach keine Binden gab! Wir Frauen haben darum gebeten, es auf Versammlungen eingefordert – sechs Jahre lang! 1986 gab es die ersten Binden über den Lagereinkauf, vorher haben wir uns mit Stoffstücken ausgeholfen.
Wir hatten auch Kontakt zu irakischen Organisationen, auch zu Dschalal Talabani, der im April 2005 zum Staatspräsidenten des Irak gewählt wurde. Wir hatten verschiedene Kontakte zu Widerstandskämpfern, die gegen Saddam Hussein kämpften und links orientiert waren. Diese Kontakte waren allerdings schwierig aufrechtzuerhalten, da wir damit auch in das Visier der irakischen Regierung gerieten, die uns sonst eher wohlwollend gegenüberstand, da wir ja gegen ihren Feind in Teheran kämpften. Schließlich haben Gruppen türkischer Kurden weiter im Norden teilweise mit dem islamischen Regime in Teheran paktiert, da dieses sie in ihrem Kampf gegen die Unterdrückung durch Saddam Hussein unterstützte. Auch im Widerstand ging es nicht einfach um Menschenrechte für alle, sondern um vielfältige politische (Macht-)Interessen.
Der Alltag im Lager war streng strukturiert. Morgens haben wir von sechs bis sieben Uhr gefrühstückt. Dann hat jeder eine Aufgabe für den Tag bekommen, aufräumen, kochen, waschen. Jeden Tag hat sich die Aufgabe geändert, aber es waren jeden Tag zwei bis drei Stunden Arbeit für die Gemeinschaft, damit das alltägliche Leben funktionierte. Ich arbeitete zudem täglich vier bis fünf Stunden im Radiosender. Wir hörten Nachrichten aus aller Welt und machten Sendungen auf Persisch und auf Türkisch. Ich hatte eine Sendung auf Türkisch, meine Muttersprache, in der ich vor allem über die Lage der Frauen im Iran sprach. Aber die erste Radiosprache war Persisch. Zudem gab es kurdische Sendungen, im Lager hörte man alle drei Sprachen, ich selbst habe in diesen Jahren Kurdisch gelernt.
Wir hatten Kontakte in den Iran, heimlich sind manchmal Mitglieder der Partei in Städte des Iran gereist und haben sich so mit Widerstandskämpfern im Land getroffen.
Im Zentrallager gab es immer wieder Zusammenkünfte, Menschen aus anderen Lagern und aus vielen Teilen des Irak kamen zu Diskussionen über die besten Strategien im Widerstand. Dieser Austausch war für uns in unserer doch sehr kleinen und abgeschlossenen Welt sehr wichtig. Auch der heutige Präsident des Irak, Dschalal Talabani, war einige Male Teilnehmer.
Wir Frauen konnten im Lager endlich Sport treiben, eine Stunde täglich war Zeit für Fußball und Volleyball. Frauen und Männer spielten zusammen, ich genoss die Bewegung vor allem beim Volleyball, solange meine Knie es zuließen.
Es gab unter den Männern Homosexualität im Lager, aber das war ein großes Tabu, darüber wurde nie gesprochen. Es gab sowohl Homosexuelle als auch heterosexuelle Männer, die mangels Frauen auf einen männlichen Sexualpartner zurückgriffen. Männer schliefen in Zelten zu zweit und zu dritt zusammen, in den Bergen oft noch beengter als im Hauptlager, da kamen sie sich einfach mitunter näher. Aber es war ein hundertprozentiges Tabuthema.
»Echte« Homosexuelle hatten es schwer, denn sie durften niemals offen sein. Ich habe den Selbstmord eines Schwulen mitbekommen, er hat sich erschossen. Er litt unter dem Schweigen und wurde innerlich immer kleiner. Aber keiner sprach mit ihm. Als er in seine Hütte ging, um sich zu erschießen, rollte er erst den Teppich ein und setzte sich in eine Ecke. Dann hielt er eine Pistole an seine Schläfe und drückte ab. Das Blut spritze an die Wand und auf den Boden, den Teppich aber hatte er sauber gehalten. Diese Szene, ich ging in die Hütte, als sein Leichnam abtransportiert wurde, hat sich mir eingebrannt. Auch ich habe das Tabu nicht gebrochen, nicht über Homosexualität gesprochen. Auch ich brauchte dazu noch Zeit.
Es lebten auch lesbische Frauen im Lager. Von einer sagte man mir: »Pass auf, wenn du mit ihr in einem Zelt, einer Hütte schläfst. Lege dich nicht neben sie, sie macht nachts komische Sachen mit dir.« Sie war stigmatisiert. Heute lebt diese Frau
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