Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Eisenkreuz, an dem die Pilger auf dem höchsten Gipfel des Jakobswegs ihre Sorgen und Nöte in Form eines Steines aus der Heimat symbolisch loswerden können.
In Rabanal lasse ich die erschöpften Leonie und Dorothy für heute Abend zurück. Ich möchte im berüchtigten verfallenen Dorf Foncebadon nur 100 Höhenmeter unter dem Gipfel übernachten. Der Aufstieg von 300 Metern über die nächsten sechs Kilometer geht teilweise über Stock und Stein.
Ebenfalls unterwegs sind hier zu später Stunde drei junge Dänen. Der Bursche und die zwei Mädels sind frischgebackene Abiturienten. Schlank und klein gewachsen, schleppt eine der drei einen Riesenrucksack - und ist mit Socken in Badelatschen unterwegs. Sie erklärt ihren ungewöhnlichen Auftritt lapidar damit, dass sie in ihren Wanderschuhen schnell Blasen bekommen habe. Per Post seien die auf dem Weg nach Hause zu Mutti. Sie geht nun abwechselnd in den Latschen und ihren Sportschuhen über den Camino. Und das läuft offensichtlich wie geölt, denn die drei sportlichen Dänen haben gestern die 53 Kilometer zwischen Leon und Astorga in einem Rutsch absolviert. Eine Elf-Stunden-Etappe in Badelatschen! So viel zu den langwierigen, wohl geplanten und teuren Vorbereitungen in denOutdoorshops, bei Schuhfachgeschäften und Orthopäden. Wir Pilger könnten viel Geld sparen -und einfach in Supermarktbadeschlappen made in China wandern. Wieder was gelernt. Und über Blasen und Knieprobleme soll mir auch keiner mehr was vorjammern. Körperliche Ertüchtigung muss ja nicht immer gleich ein Projekt sein. Einfach loslaufen, so wie früher - ganz ohne MP3-Player, Energydrink und Personal Trainer.
Beim langen und steilen Aufstieg nach Foncebadon öffnet sich ein herrlicher, weiter Blick zurück in die Meseta - sicher zehn Kilometer tief in die Landschaft. Seit Burgos hatte uns die weite Hochebene beschäftigt und nun ist es damit vorbei.
Auf steilen und steinigen Pfaden in Foncebadon angekommen, liegt der größte Teil des lange verlassenen Dorfes noch immer in hüfthohen Stein- und Holztrümmern. Die Ruinen primitiver Natursteinhäuschen und die unbefestigte einzige Straße lassen auf den elenden Zustand des Weilers schließen, der die Dörfler einst in die Flucht getrieben haben muss. Und das kaum 30 Kilometer von Astorga entfernt.
Der Anblick verfallener Dörfer nur wenige Kilometer von lebendigen Ortschaften entfernt, wundert mich immer wieder. Heute ist in Foncebadon eine Handvoll Gebäude wieder renoviert. Drei Herbergen und ein Hotel bieten unter dem Cruz de Ferro den Pilgern Unterkunft.
Seit einigen recht verwirrten Darstellungenberühmter Autoren über den Jakobsweg hat das verlassene Dorf Foncebadon einen geradezu mythischen Ruf. Nach Einschätzung von - sagen wir mal esoterisch verunglückten - Pilgern sind hier in der Gegend Geister und Horden wilder Hunde seit Jahrhunderten des Pilgers früher Tod. Es verwundert nicht, dass es außer ein bisschen Einsamkeit und Trümmerromantik zwischen den Ruinen nichts wirklich Außergewöhnliches zu entdecken gibt. Hunde? Fehlanzeige. Geister? Höchstens nach drei Flaschen Vino. Und spirituelle Schwingungen? Vielleicht mal beim nächsten Erdbeben.
Obwohl, auch hier gibt’s Überraschungen: Immerhin bietet mir das Hotel heute nach fast vier Wochen auf den Beinen die erste hypermoderne Massagedusche des Camino. Das hätte ich gerade hier auch nicht erwartet.
Ansonsten laufen ein paar lustig anzuschauende Hippietypen mit Rastalocken und handgestrickten Wollmützchen rum - barfuß durch die Steine und natürlich unheimlich gut drauf. Dazu wabert zwischen intellektuell-spiritueller Diarrhö ganz alternativ keltisch angehauchte Musik zwischen den Trümmern umher. Bestimmt wollen die alternativen Spaßvögel dem Jakobsweg etwas zurückgeben oder so. „Yeah, man!“
Dass ich an geisterhafte Erscheinungen nicht so recht glauben mag, ist das Eine. Aber heute Nachmittag habe ich schon eine seltsameErscheinung auf dem Camino gehabt. Zum dritten oder vierten Mal in den vergangenen Tagen ist mir auf dem Weg eine selig lächelnde, ältere Frau erschienen. Und zwar entgegen der Fahrtrichtung, mit leichtem Rucksack und von einem älteren Herrn mit ohne Haare und grauem Seemannsbart begleitet. Das heißt ja, dass die beiden immer irgendwie voraus fahren und dann die Etappen täglich entgegen dem Pilgerfluss abmarschieren. Ein wenig irritiert bin ich schon, als mir klar wird, dass ich diese spukige Erscheinung nun schon zum wiederholten Mal
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