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Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Titel: Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Messner
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pausieren. Sie ist zwar tief frustriert, die christlichen Regeln des Pilgerns ein wenig umgehen zu müssen, und dass das die ersten Kilometer seit ihrem Start in Roncesvalles sind, die sie nicht zu Fuß gehen kann, aber esklappt eben nicht anders. Wenn sie jetzt nicht ihre Grippe pflegt, fällt sie uns womöglich heute oder morgen mit Fieber ganz um. Abends hatte sie noch geheult, weil sie mit ihrer Grippe entweder zurückbleiben, oder den Bus nehmen muss. Damit wird sie aber nicht jeden Kilometer selbst laufen, wie sie es für eine todkranke Freundin tun wollte. Die junge Frau hat zwei kleine Kinder und Krebs im Endstadium. Ich habe ein solches Drama selbst bei einer Nachbarin und Freundin meiner Frau vor ein paar Jahren miterlebt. Für die Familie und vor allem die Kinder ist das ein unvorstellbares Trauma. Warum gibt es so viele fiese Schicksale in dieser Welt? Was soll das? Das macht mich mehr zornig als traurig. Ich finde es grotesk, wenn Menschen aller großen Religionen in diesen Zusammenhängen von den unerklärlichen „Plänen“ ihrer Götter faseln. Welche angeblich allmächtige und unendlich gütige göttliche Lebensform hätte denn Spaß daran, unschuldige Menschen leiden zu sehen? Dann ist dieses Göttliche entweder nicht allmächtig oder nicht gütig, sondern ein Sadist, der soziale Experimente mit uns macht. Diesem Göttlichen zwischen Buddhismus und Christentum zu huldigen, verlangt zumindest in diesem Zusammenhang entweder eine gewisse Ignoranz oder tiefe Naivität.
    Ich treffe mich nach 21 Kilometern Tagesleistung mit Martin in Sanitibañez, unserem geplant letzten gemeinsamen Übernachtungsort.Ein Kaff mit 40 Einwohnern. Hier gibt es nur die öffentliche Herberge, die sich, von außen noch ganz nett anzusehen, nach dem Einchecken als übles Dreckloch erweist. Die Matratzenüberzüge sind voller Flecken und sicher seit Monaten oder Jahren nicht mehr gewaschen. Hier in modriger Atmosphäre das müde Haupt aufs Kissen sinken zu lassen, dürfte heute Abend eine Herausforderung werden. Ekelhaft. Die Freiluft-Duschen im Garten sind von '96, wie ein Eintrag im Fußbodenbeton erkennen lässt. Ich tippe auf 1896. Wir lassen uns nach dem Duschen und der Handwäsche erstmal im Garten nieder und trinken ein paar eiskalte Dosen Bier aus der Kneipe nebenan. Die schließt dann allerdings für heute. Wir brauchen entweder für diese Nacht Mut oder Bewusstlosigkeit.
    Bierchen für Bierchen sinkt unsere Begeisterung für diesen Übernachtungsort in den Staub. Und der schmuddelige Herbergsverwalter will nachher auch noch selbst kochen, wie er strahlend zahnlos ankündigt. Er sitzt ebenfalls im Garten herum, anstatt zu putzen oder aufzuräumen. Menschenrechte hat jeder, die allgemeinen Menschenpflichten sollten auch mal verkündet werden! Die Stimmung sinkt auf dem Umweg über Galgenhumor und Selbstironie in die Nähe des Nullpunkts. Martin ist wirklich ein herbergsgehärteter Pilger, aber einen solchen Laden wie hier hat auch er noch nicht erlebt.
    Als Dorothy trotz unserer Verabredung um 15Uhr immer noch nicht da ist, beschließen wir, nach Astorga zu fliehen und den herumsitzenden Hostallero und die lediglich vier anderen Insassen dieser Nobelherberge ihrem Schicksal und seinem Abendessen zu überlassen. Zwölf weitere Kilometer durch den heißesten Nachmittag seit Wochen warten auf uns. Wir raffen unsere noch halbnassen Klamotten von der Leine, entschuldigen uns mit unaufschiebbaren Terminen und reißen regelrecht aus. Wenn man hier die Augen schließt, sieht man schäferhundgroße Kakerlaken auf einen zurobben. Und Tschüss!
    Es geht erstmal nur bergauf und der Weg besteht aus faustgroßen Steinen. Leicht wird es Martin und mir heute also nicht gemacht, ein nettes Plätzchen zum Übernachten zu finden. Wir schwitzen tüchtig die Bierchen aus und sind nach zweieinhalb Stunden nüchtern am Ziel - voller Freude und Hoffnung auf eine deutlich sympathischere Übernachtungsmöglichkeit in Astorga.
    Kurz vor dem Abstieg in die Stadt taucht in der staubigen Landschaft wie eine Fata Morgana ein kleiner Verkaufswagen auf. Neben einer halb eingefallenen Steinhütte gibt es mitten im Nirgendwo aufgeschnittene Früchte und frisch gepresste Säfte zu kaufen. Dazu Traumfänger und weiteres esoterisches Gedöns! Selig lächelnd stehen in wallenden Gewändern aus biologisch gefärbter Ökobaumwolle ein paar langhaarige Bombenlegerdrum herum. Ihre Klamotten sehen aus, als hätten sie eine Zeil lang auf einer Autobahn

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