Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
auch immer - es ist ein schönes Symbol, hier etwas abzulegen. Eine Geste und ein bewegender Augenblick. Hier fließen viele Tränen - voller Erinnerung, Hoffnung, Trauer - oder einfach wegen Erschöpfung und Überlastung. Immerhin sind die Pfade durch die Montes de Leon mit alpinen Wanderungen vergleichbar. Der teilweise anspruchsvolle Aufstieg fordert schon ein paar Schweißtropfen.
Auch Leonie vergießt Tränen, als sie ihr Mitbringsel ablegt. Sie ist nachher sehr dankbar, dass ich diesen für sie bewegenden Augenblick heimlich fotografiere. Auch mein erzhaltiges Steinchen aus der Westerwälder Heimat liegt nun im riesigen Schutthaufen am Kreuz. Wenn mal einer suchen möchte: Mit goldener Farbe habe ich „Horhausen 2011“ draufgeschrieben. Was ich mir beim Ablegen gewünscht habe, verrate ich aber nicht.
Wir drei haben in unseren paar Minuten am Eisenkreuz großes Glück. Wir sind praktisch allein. Die Sorge, an diesem besonderen Ort des Camino mit einer Busladung Touristen genervt zu werden, bewahrheitet sich zum Glück nicht. Immerhin wird die Angelegenheit noch hochpolitisch, als ein junger Mountainbike-Fahrer schnaufend auf dem Gipfel ankommt. Er bitte mich, ihn unter dem Kreuz zu fotografieren. Dabei entpuppt sich der Kamerad dann zweifelsfrei als Baske. Er entrollt nämlich eine baskische Unabhängigkeitsflagge fürs Foto und ist sichtlich stolz auf seine Tat. Was er sich unterm Eisenkreuz wünscht, kann man sich also denken. Einen Wunsch habe ich dann aber auch noch an ihn: Er soll das Foto möglichst nicht mit meinem Namen als Fotograf in der nächsten ETA-Postille veröffentlichen…
Martins Hinterlassenschaft für uns können wir leider trotz gründlicher Suche nicht finden. Etwa in Augenhöhe, an der Rückseite der wild umwickeltenund beklebten Stange, hat er auf einem Pflaster seinen genetischen Fingerabdruck hinterlassen, aber entweder ist das Stück abgefallen oder schon wieder von einer weiteren Hinterlassenschaft überdeckt. Per SMS weist uns Martin noch auf den teilweise schwierigen Abstieg hin und gibt Empfehlungen für die nächste Herberge weiter. Einen Tag vor uns unterwegs, ist er jetzt unsere Vorhut.
Der große Picknickplatz neben dem Gipfel eignet sich leider nicht so gut für eine Pause. Ein großer, schwarzer Stier steht in dem von einem Holzzaun abgegrenzten Bereich zwischen Tischen und Bänken und scheint uns anzugrinsen. Ich sehe mich schon das Gatter übersteigen und mich todesmutig dem Torro entgegenstellen, um ihm einen Sitzplatz abzutrotzen. Allerdings ist die einzige Szene, die sich klar vor meinem geistigen Auge abzeichnet, der Augenblick, wenn der Stier gelangweilt den Kopf hebt und mir einen langen, herablassenden Blick zuwirft. Allein sein Blinzeln ist dann bereits der Startschuss für meinen ruckartigen Rückzug auf die sichere Seite des Gatters. Zum Stierkampf Pilger gegen Torro kommt es nicht. Mein Vorschlag, mein knallrotes Handtuch schwenkend, ein paar verwegene Schritte auf den Picknickplatz zu machen und für ein bisschen Stierkampf-Abwechslung zu sorgen, wird mir kategorisch ausgeredet. Die Damen weigern sich, mich gegebenenfalls zu fotografieren. Dann ebennicht. Pilgern ist kein Wunschkonzert . Ich plappere kein Geheimnis aus, wenn ich vermute: Mit Martin wäre die Sache bestimmt lustiger geworden - Weiber!
Bei leichter Bewölkung ist es heute zum Glück nicht heiß auf über 1000 Meter Höhe. Der Bewuchs hier auf dem Irago erinnert an die Mittelmeerküste: Ginster, Krüppelbäume und Heide auf sandigem und felsigem Boden. Der Blick kann über viele Kilometer voller Bergkuppen und Täler schweifen, am Ende bis ins Tal nach Ponferrada und in die nächsten, dann schon galicischen Hügel. Eine Schlange kreuzt beim Abstieg unseren Weg. Das silbrig glänzende Tierchen ist aber sofort wieder verschwunden. Zur Sicherheit klopfe ich mit dem Stock ein bisschen auf den Busch, bevor wir auf dem Pfad daran vorbeigehen. Von der möglichen Gefährlichkeit der heimischen Schlangenfauna haben wir keine Ahnung und gehen daher auf Nummer sicher.
Die Kraxelei - erst hoch, dann wieder runter -hat sich heute gelohnt: Ein tolles ländliches Hotel, ein Rural, ist heute Nacht meine Herberge. 35 Euro für 30 Quadratmeter Luxuszimmer mit herrlichem Bad. Natursteinwände und Holz prägen das edel renovierte, alte Bauernhaus am Ortseingang.
Dorothy hat sich heute nach dem Cruz de Ferro verirrt und bleibt eine halbe Stunde verschwunden, bis sie ein paar Meter oberhalb des Camino wieder
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