Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
herumgelegen. Weitere echt alternative Mitbürger sitzen bei Gitarrenspiel ums spärlich qualmende Lagerfeuer. Später heißt es, die Spaßvögel hätten den eingefallenen Stall für den Sommer von einem Bauern gemietet und wollten nun am Camino ein paar besonders spirituelle Monate verbringen. Martin und ich gönnen es ihnen von Herzen und begegnen ihnen mit Nachsicht. Wir sehen außerdem zu, dass wir zügig in der realen Welt Astorgas ankommen.
Martin zieht in die Herberge, ich quartiere mich im Hotel Astur ein, wo auch die kranke Leonie wohnt und mir per SMS-Kontakt ein Zimmer reserviert hat. Wir hatten ihr unterwegs die Info gegeben, dass wir uns aus rein persönlichen Gründen zu einer Doppeletappe entschlossen haben…
Purer Luxus im Vergleich zur Ekelmatratze von Sanitibanez erwartet mich. Ich wasche meine Wäsche nochmal, ich dusche nochmal und dann treffen Leonie, Martin und ich uns zum Galgenschmaus unseres letzten gemeinsamen Abends auf der Plaza. Diesmal gibt es einen ordentlichen Abschied von Martin mit vielen lustigen Camino-Anekdoten. Er will uns am Cruz de Ferro seinen Fingerabdruck hinterlassen, wenn er morgen weiterzieht. Ein Fingerabdruck im wahrsten Sinne des Wortes - mit Blut gedruckt aufweißem Pflaster. Wir sind gespannt, was uns übermorgen erwartet. Morgen ist erst einmal Ausschlafen angesagt - und am Ruhetag ein Stadtbummel durchs wunderschöne Astorga. Pilgern ist ein Wechselbad .
Wie lange liegst du, Fauler? Wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? Sprüche 6.9
28. Tag: Ruhetag in Astorga.
Ich wache nach 13 Stunden Schlaf um halb elf auf. Mein Zimmer liegt ruhig. Und in mir steckt in der fünften Woche als Fußgänger offensichtlich so viel Müdigkeit, dass ich schlafe wie ein Toter. Ich frühstücke neben dem Gaudi-Palast und der Kathedrale von Astorga - längliches Fettgebackenes mit einer dickflüssigen heißen Schokolade. Es gibt hier - natürlich - wieder eine große, mittelalterliche Kirche und kleine, gemütlich Gassen. Der Bischofspalast des großen spanischen Architekten Antoni Gaudi hat wie schon sein Werk in Leon eine ganz eigene Erscheinung. Die beiden Paläste stammen aus seiner neugotischen Phase und erinnern immer ein bisschen an eine Mischung aus Neuschwanstein und Harry Potter-Film. Gaudi ist, wie wir erfahren, nie selbst als Jakobspilgerunterwegs gewesen - trotz seines kirchlichen Auftrags hier in Astorga. Tatsächlich war er ein großer Kirchenfeind, bis er älter wurde und seine Meinung zu spirituellen Fragen änderte. Zuguterletzt hat ihn im Alter von knapp 74 Jahren 1926 in Barcelona eine Straßenbahn überfahren. Das zumindest wäre ihm auf dem Camino nicht passiert.
Auf dem Rathausplatz vor dem Hotel steht an diesem Morgen wie aus dem Boden gewachsen ein großer Markt aufgebaut, als ich ins Freie trete. Ich bummle zwischen Klamotten und spanischen Würsten durch die Altstadt. Heute gibt es wieder eines der vielen Beispiele großer Freundlichkeit und echter Sympathie für die Pilger: Ein älterer Herr kommt auf mich zu, nachdem ich meine Finger nach dem Mittagsimbiss im Brunnen gewaschen habe. Er warnt mich: „Das ist kein Trinkwasser.“ Ich bedanke mich für seine Aufmerksamkeit. Es sind vor allem die älteren Leute in den Dörfern und Städten, die aus alter Tradition und sicher auch Religiösität heraus immer einen „Buen Camino“ wünschen, wenn sie uns Pilger treffen. Umgekehrt grüße ich höflich jeden Spanier, dem ich begegne. Ich bin hier schließlich Gast. Von jungen Spaniern kommt ab und zu regelrechte Heldenverehrung, wenn sie erfahren, dass man aus St. Jean hergewandert kommt. Wie sagte der Spanier David heute morgen, aus Logrono gestartet, zu Leonie und mir: „Wow, Ihr seid meineHelden des Tages.“ Das tut auch mal gut. Sind bis hierher immerhin schon 530 Kilometer gewesen.
Dorothy hat heute in Astorga einen rabenschwarzen Pilgertag, weil sie mit dem Gedanken spielt, aufzugeben. Jeden Tag neue Blasen an den Füßen und andere Probleme - heute neue Rückenschmerzen trotz der Ruhetage mit ihrer Freundin. Sie ist körperlich und moralisch an einem Tiefpunkt angekommen und wir mühen uns, sie wieder aufzubauen.
Hier in Astorga laufen jetzt schon einige Touristen-Pilger mit Minirucksack schnaufend durch die Stadt. Ihr Blick verrät Pilgerstolz, meiner ein Schmunzeln. „Ihr seid genauso wenig Pilger wie die Radfahrer. Ihr seid Touris und die Biker machen eine Radtour entlang des Jakobsweges. Nicht mehr, nicht weniger.“ Als Pilger muss man
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