Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
auftaucht und uns zuwinkt. Sie findet schnell aufden Pfad der Tugend zurück, der aber schon ein paar Kilometer weiter die nächste Begegnung der dritten Art bereithält. Direkt am Wegesrand liegen plötzlich ineinander verkeilt zwischen den Ginsterbüschen zwei Frauen, die ihre Beine aneinandergelehnt in die Luft strecken. Ein schräger Anblick. Die Damen entpuppen sich als Französinnen im Gras. Und was wie zwei grauslich verkeilte Unfallopfer aussieht, soll so eine Art Venenentlastungsübung sein. Immerhin jammert niemand, denke ich mir. Auf meine Frage, ob es einen Unfall gegeben habe und ich helfen könne, bricht die Gymnastik abrupt ab…
Meinen Geist habe ich heute übrigens nicht getroffen.
Der Gerechten Wunsch muss doch wohl geraten, und der Gottlosen Hoffen wird Unglück. Sprüche 11.23
31. Tag von El Acebo nach Ponferrada
Gleich beim durchaus ordentlichen Inklusive-Frühstück in dem herausragend guten Rural erhalte ich eine knappe SMS von Leonie, die wie üblich in einer Herberge übernachtet hat. Sie will so schnell wie möglich los, teilt sie knapp und fast schon im Befehlston mit. Etwas überrascht beeile ich michmit dem Frühstück und mache mich auf die Socken. Ich mutmaße schon, dass ihre Grippe wieder ausgebrochen ist, als ich sie missmutig vor der Herberge auf einer Bank sitzen sehe.
Die Geschichte ist allerdings komplizierter: Leonie ist stocksauer. Wegen zweier brutal schnarchender Französinnen hat sie vergangene Nacht im Schlafsaal kein Auge zugetan. Ihr war schon abends im Schlafsaal aufgefallen, dass eine frisch eingetroffene Gruppe Franzosen sich auf zwei Räume aufgeteilt hatte, sich aber nichts Böses dabei gedacht. In der grottigen Nacht ist ihr ein Licht aufgegangen: Die Madames starteten, sobald das Licht aus war, ihren wohl allnächtlichen Weltrekordversuch im Laut- und Dauerschnarchen -direkt neben der armen Holländerin. Beim Versuch, die Bettnachbarin durch sanftes Berühren zum Ändern der Schlafposition zu bewegen, wurde diese wach und beschimpfte Leonie aggressiv. Schnarchen ist ja in vielen Partnerschaften das einzige Lebenszeichen im Bett. Hier ist das für übermüdete Pilger aber förmlich Bettelei um einen Amoklauf.
Leonie zieht schließlich unter Protest und Absingen schmutziger Lieder nebst ihrer Matratze ins Treppenhaus, wo sie aber auch nicht mehr schlafen konnte.
Frustriert und übernächtigt schimpft sie an diesem Morgen auf die völlig rücksichtslosen Schnarchpilger, die trotz ihrer nächtlichenStörgeräusche in die Herbergen einkehren. „Solche Leute sind unverschämt!“. Überhaupt ist Leonie stocksauer. Das war ein gezieltes Attentat auf ihre Nachtruhe, denn die Freunde der Schnarchmonster hätten sich ja bewusst in einem anderen Raum niedergelassen. „Solche Leute sind skrupellos, überhaupt in Herbergen zu schlafen, obwohl sie wissen, wie sehr sie die Mitpilger belasten“, mosert sie stundenlang vor sich hin. Sie ist heute überhaupt nicht zu genießen. Als wir unterwegs die Gruppe der Franzosen überholen, die ihr die Nachtruhe raubte, wirft sie der garstigen Oberschnarcherin einen langen und vernichtenden Blick aus der großen Sonnenbrille zu. Pilger geben kein Pardon ! Auf eine erneute verbale Auseinandersetzung, einen Boxkampf oder eine Camino-Variante des immer wieder gern gesehenen Schlammcatchens verzichten die Damen aber zu meiner Erleichterung. Ohne die vorschriftsmäßigen Boxhandschuhe hätte es ja auch nur wieder Haareziehen und Kratzen gegeben…
Ein schwieriges Thema, dieses Schnarchen. „Oft sprießt frommes Recht aus schnödem (Schlaf-)Raub, wusste schon Voltaire zu berichten“, könnte ich einwerfen. Leonie ist allerdings so bockig und geladen, dass ich auf meine üblichen, mehr oder weniger sachlichen Diskussionsbeiträge sicherheitshalber verzichte. Zuviel Östrogen.
„Dürfen Pilger schnarchen?“ Oder in diesem Fall viel maßgeblicher: „Dürfen Schnarcherpilgern?“ Ist es unchristlich, andere damit zu belästigen oder sollen die Anderen im Schlafsaal das Geräuschinferno still, in sich gekehrt und demütig erdulden? Hier am Jakobsweg wird der Schlafsaal regelmäßig zum Krisengebiet mit Schnarch-Tsunamis der apokalyptischen Sorte.
Aber wie ist die moralische Lage in diesem Ausnahmezustand: Ist der Krachmacher in dem Konflikt der Böse oder der empfindliche Bettnachbar? Oder gehören nächtliche Geräuschbelästigungen genauso zur Pilgerherberge wie schmutzige Matratzen und siffige Toiletten? Ist das eben der Preis
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