Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
einem anderen Landesteil schwer zu bekommen. „Wenn ich mich als Katalane im Baskenland für einen Job bewerbe, fragen sie mich, ob ich baskisch könne. Wenn nicht, bekomme ich die Stelle nicht“, ärgert sich der 31-Jährige. Ein Denken, das im restlichen Europa nicht so leicht nachzuvollziehen ist. Auch das fehlende Interesse an Fremdsprachen in seiner Heimat stört Luis sehr. Die immer wieder von uns Pilgern erlebte Unfreundlichkeit im Kontakt mit dienstleistenden Spaniern kennt Luis auch. „Das passiert mir auch, das passiert jedem in Spanien“, meint er. Das habe nichts mit Unfreundlichkeit gegenüber Fremden, sondern nur mit mangelnder Bildung und Ausbildung bei den Kellnern und Thekenbedienungen zu tun.
Am Nachmittag wird es noch einmal ernst auf dem Camino: Hanneke erzählt mir heute auf dem Camino vom Tod ihrer Mutter. Eine harte Geschichte und mir gehen für ein paar längere Minuten sogar die Witzchen aus. Leonie war sehr viel mit ihrer Mutter zusammen in den letzten Monaten nach der todesgewissen Diagnose: Krebs. Sie hatte aufgehört zu arbeiten. Ihre Schilderungen treiben mir Schauer über den Rücken und ich denke an ihre Tränen am Cruz de Ferro vorgestern. Auch in den letzten Momenten war Leonie bei ihrer Mutter. Für mich ist es sehr bewegend, dass sie diese Erinnerungen mit mir teilt.
Ihr Vater war bereits zwei Jahre zuvor urplötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Das ist jetzt zehn Jahre her. Anfang 30 hatte sie in zwei dramatischen Jahren ihre Eltern verloren. Die besten Freunde ihrer Eltern, mit denen der Kontakt in all den Jahren seitdem sehr eng blieb, waren vor vielen Jahren ebenfalls auf dem Jakobsweg gepilgert. Leonie ruft sie in diesen Tagen oft an oder schickt Mails. Die Freunde lesen sich zurzeit jeden Morgen ihre alten Camino-Tagebücher von damals beim Frühstück vor, wie Leonie erzählt. Und passend dazu berichtet sie dann alle paar Tage von ihren Caminoerlebnissen - zwanzig Jahre später.
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Psalm 90.12
33. Tag in Villafranca
Heute ist Erholung und das Warten auf meine Damen angesagt. Meine Pilgerfamilie der vergangenen Wochen schreitet ohne mich voran und wird durch meine Familie aus dem realen Leben ersetzt. Seit vier Wochen sind wir inzwischen räumlich getrennt. Das moderne Handy sorgt mit Sprache, Bild und Text für den täglichen Austausch,aber natürlich nicht für Nähe. Immerhin konnte ich damit die Lieben zuhause immer wieder binnen Sekunden an meiner Pilgerei teilhaben lassen.
Ich mache nach dem Hostalfrühstück einen kleinen Stadtbummel zwischen Festung und Kirchen. Dabei treffe ich auf die leeren Schaufenster der ehemaligen Zahnarztpraxis „Clinica Dental Virgen del Fatima“. Der Laden mit dem kurios christlichen Namen ist nun dicht. Für was hier die Jungfrauen doch alles herhalten müssen. Vielleicht haben selbst die katholischen Patienten in Villafranca den Verdacht gehabt, dass der Dottore beim Bohren mehr als wünschenswert auf göttliche Hilfe denn auf qualifizierte Zahnarzt-Fähigkeiten setzen könnte. Und so wird der Jungfrau von Fatima hier keine weitere Chance auf tiefer gehende Wurzelbehandlungen gegeben. Beim Zahnarzt hört der Wunderglaube aus ganz praktischen Erwägungen heraus auf. So schmerzstillend sind gebetete Rosenkränze dann wohl doch nicht.
Heute hat sich Myra aus Kanada per SMS gemeldet. Nach schönen Tagen in Portugal ist sie wieder gut zu Hause angekommen. Weder im Flieger über den großen Teich noch jetzt zu Hause hat jemand ihrer drei Ex-Pilgerfreundinnen ein Wort über ihre Extratour verloren. Ihr Sohn ist sehr stolz auf seine Mama, schreibt sie und man spürt, dass sie selbst auch zufrieden ist, sich auf dieser langen, entbehrungsreichen Reise behauptet zuhaben. Sie habe einige Lektionen gelernt. „I will just move on“ - „Ich gehe meinen Weg weiter“ -schreibt sie als Gruß unter ihre Nachricht.
Um halb sechs treffen meine Frau Beate und meine 15-jährige Tochter Charlotte ein. Vor dem Busbahnhof springen wir uns in die Arme. Familienzusammenführung auf dem Camino. Dass meine holde Gattin ihre Lehrer-Herbstferien für den Abstecher auf den Jakobsweg nutzt, hatten wir schon seit Jahren für den Fall geplant, dass ich mal die größere Tour angehe. Charlottes Begeisterung war allerdings lange weit unterdurchschnittlich. Das Angebot, doch mitzukommen, lehnte sie zunächst strikt ab. Erst ein paar Wochen vor den Flugbuchungen hatte sie ihre
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