Ich habe mich verträumt
denn je.
Der Kloß in meinem Hals schien anzuschwellen. Zum Glück riss mich da ein sanftes Klopfen an der Tür aus meiner Nostalgie. „Herein“, rief ich. Es war Dr. Eckhart.
„Guten Morgen, Grace“, sagte er auf seinen Gehstock gestützt.
„Hallo Dr. Eckhart.“ Ich lächelte. „Wie geht es Ihnen?“
„Heute bin ich doch ein wenig sentimental, Grace, ein wenig sentimental. Meine letzte Abschlussfeier an der Manning.“
„Ohne Sie wird es nicht mehr dasselbe sein, Sir“, erwiderte ich.
„Nein“, stimmte er zu.
„Ich hoffe, wir können trotzdem hin und wieder zusammen essen gehen“, sagte ich aufrichtig.
„Aber natürlich, meine Liebe. Und es tut mir sehr leid, dass Sie nicht Fachbereichsleiterin geworden sind.“
„Tja, wie es aussieht, haben sie sich eine äußerst kompetente Kraft geangelt.“
Die neue Fachbereichsleiterin hieß Louise Steiner und kam von einer Privatschule in Los Angeles. Sie hatte bedeutend mehr administrative Erfahrung als Ava oder ich, zudem einen Doktortitel in Europäischer Geschichte und einen Master in Amerikanischer. Kurz gesagt: Sie hatte uns ohne große Anstrengung aus dem Rennen geworfen.
Wie Kiki mir erzählte, war Ava so wütend gewesen, dass sie mit Theo Eisenbraun Schluss gemacht hatte. Sie wollte sich jetzt an anderen Schulen bewerben, aber ich glaubte nicht, dass sie uns tatsächlich verlassen würde. Es wäre sehr viel Aufwand, und Ava hatte sich noch nie gern angestrengt.
„Reisen Sie dieses Jahr noch nach Pennsylvania?“, erkundigte sich Dr. Eckhart. „Oder zu anderen Schlachtenorten?“
„Nein“, antwortete ich. „Ich werde diesen Sommer umziehen und daher gar nicht verreisen.“ Ich umarmte den alten Mann liebevoll. „Danke für alles, Dr. Eckhart. Ich werde Sie sehr vermissen.“
„H-hm“, räusperte er sich und tätschelte meine Schulter. „Da müssen Sie aber nicht gleich sentimental werden.“
„Hallo? Oh, Entschuldigung. Ich wollte nicht stören.“ Dr. Eckhart und ich sahen auf. Eine attraktive Frau etwa Mitte fünfzig mit kurzen grauen Haaren und einem eleganten Leinenkostüm stand in der Tür. „Hallo, ich bin Louise. Schön, Sie wiederzusehen, Dr. Eckhart. Und Sie müssen Grace sein.“
„Hallo“, erwiderte ich und ging hin, um meiner neuen Vorgesetzten die Hand zu schütteln. „Herzlich willkommen an der Manning. Wir haben gerade von Ihnen gesprochen.“
„Ich würde mich gern einmal mit Ihnen unterhalten, Grace. Dr. Eckhart hat mir Ihre Präsentation gezeigt, und Ihre Änderungsvorschläge für den Lehrplan fand ich sehr interessant.“
„Danke sehr“, sagte ich mit einem Seitenblick zu Dr. Eckhart, der gerade seine leicht gelblichen Fingernägel studierte.
„Vielleicht können wir uns nächste Woche einmal zum Mittagessen treffen und ein paar Dinge beraten“, schlug Louise vor.
Ich lächelte Dr. Eckhart zu und wandte mich wieder an Louise. „Mit Vergnügen“, erwiderte ich.
Nachdem die Kappen in die Luft geworfen worden waren und die Schulabgänger ihr Durchhaltevermögen bei einem leckeren Brunch hinreichend gefeiert hatten, ging ich zu meinem Auto. Mir blieben noch zwei Stunden, um zu duschen, mich umzuziehen und ins Soleil zu fahren, wo Natalies Essen stattfand.
„Und wieder ein Jahr vorbei“, sagte da eine vertraute Stimme.
Ich drehte mich um. „Hallo Stuart.“ Er sah … älter aus. Grauer. Und trauriger.
„Ich wünsche dir schöne Ferien“, sagte er höflich und studierte einen besonders hübschen rosa Hartriegelstrauch.
„Danke“, murmelte ich.
„Wie … wie geht es Margaret?“ Unsicher sah er mich an.
Ich seufzte. „Sie ist gereizt, eifersüchtig und anstrengend. Vermisst du sie?“
„Ja.“
Ich blickte ihm zwei, drei Sekunden lang direkt in seinetraurigen Augen. „Stuart?“, fragte ich sanft. „Hattest du mit Ava eine Affäre?“
„Was? Mit diesem Piranha?“, fragte er entsetzt zurück. „Du meine Güte, nein! Wir sind essen gegangen. Ein Mal. Und da habe ich nur von Margaret geredet.“
Also gut. Ich beschloss, ihm einen Tipp zu geben. „Wir sind heute Abend im Soleil in Glastonbury. Neunzehn Uhr dreißig. Sei spontan.“
„Soleil.“
„Genau.“ Ich sah ihn eindringlich an.
Er nickte kurz. „Einen schönen Tag noch, Grace.“ Dann drehte er sich um und marschierte davon. Sein graues Haar leuchtete hell in der Sonne. Viel Glück, mein Freund, dachte ich.
„Ms Em! Warten Sie!“ Tommy Michener und ein Mann – vermutlich sein Vater, der Ähnlichkeit nach zu
Weitere Kostenlose Bücher