Ich habe mich verträumt
definitiv hübsch anzuschauen, dachte ich, bevor ich mich vom Anblick seiner muskulösen Armen losriss. Wie schön, dass es heute so warm war, dass Mürrischer Nachbar sein T-Shirt ausziehen konnte. Die Sonne glitzerte auf seinem schweißglänzenden Rücken. Seine Oberarme waren so kräftig wie meine Oberschenkel.
Eine Sekunde lang stellte ich mir vor, wie er diese kräftigen, muskulösen Arme um meinen Körper schlang. Sah vor meinem geistigen Auge, wie Mürrischer Nachbar mich gegen sein Haus presste und mit starken, männlichen Händen hochhob, um dann …
Wow, du musst dringend mal wieder flachgelegt werden, kam da ungebeten der nächste Gedanke. Mein pulsierender Duschkopf reichte offenbar nicht aus. Zum Glück hatte Mürrischer Nachbar meine lustvolle Fantasie nicht bemerkt. Tatsächlich hatte er mich überhaupt nicht bemerkt.
Ich ging ins Haus und schickte Angus zum Gassigehen, Graben und Herumtollen in meinen eingezäunten Garten. Das Kreischen einer Motorsäge zerriss die Luft. Seufzend schaltete ich den Computer ein, um endlich Julians Rat zu folgen. Match. com, eCommitment, eHarmony , ja, ja, ja. Zeit, einen Mann zufinden! Einen guten Mann. Einen anständigen, fleißigen, moralisch aufrechten, gut aussehenden Kerl, der mich vergötterte. Jetzt komm ich, Mister. Warten Sie’s nur ab!
Nachdem ich meine Vorzüge eingegeben hatte, begutachtete ich ein paar Profile. Typ Nummer eins – nein. Zu hübsch. Typ Nummer zwei – nein. Seine Hobbys waren Autorennen und Fight Clubs. Typ Nummer drei – nein. Der sah irgendwie ganz seltsam aus. Ich musste einsehen, dass ich heute nicht gerade in bester Stimmung für so etwas war, und so korrigierte ich lieber Arbeiten über den Zweiten Weltkrieg, bis es dämmerte. Nach einer kurzen Pause, in der ich etwas von dem chinesischen Essen aufwärmte, das Julian am Donnerstag vorbeigebracht hatte, setzte ich die Korrekturarbeiten fort, kreiste Grammatikfehler ein und bat um detailliertere Antworten. An der Manning kreiste die Beschwerde, Ms Emerson sei eine strenge Lehrerin, aber hey! Schülerinnen und Schüler, die bei mir eine Eins bekamen, hatten sie sich auch verdient.
Als ich fertig war, lehnte ich mich zurück und streckte mich. An der Küchenwand tickte laut die Fritz-the-Cat-Uhr mit hinund herpendelndem Schwanz. Es war erst acht, und der Abend lag schier endlos vor mir. Ich könnte Julian anrufen … Aber nein. Offenbar dachte mein bester Freund, wie seien Co-Abhängige, und obwohl das natürlich hundertprozentig stimmte, tat es dennoch weh. Was war denn so schlimm an Co-Abhängigkeit, hm? Immerhin hatte er mir eine E-Mail geschrieben, eine lustige Nachricht über die vier Männer, die sich bisher für sein Online-Profil interessierten und ihm dadurch Bauchschmerzen verursachten. Armer kleiner Feigling. Ich schrieb zurück, dass auch ich jetzt online zum Kennenlernen verfügbar sei und dass ich ihn im Seniorenheim Golden Meadows zur Tanzstunde mit den alten Herrschaften sehen würde.
Seufzend stand ich auf. Morgen war Schule. Vielleicht würde ich eines meiner neuen Outfits anziehen. Mit Angus auf den Fersen stieg ich die Treppe hinauf, um mich mit meinen neuen Kleidern vertraut zu machen. Tatsächlich, so dachte ich, als ich meinen Kleiderschrank begutachtete, wurde es auch Zeit, maletwas wegzuwerfen. Irgendwann musste man sich der Frage stellen, wann die ehemals schicken alten Klamotten einfach nur noch altmodisch waren. Ich schnappte mir einen Müllbeutel und fing an, auszumisten. Bye-bye Pullover mit Löchern in den Achselhöhlen, Chiffon-Rock mit Brandloch am Po, Jeans, die 2002 zuletzt gut gepasst hatte! Angus nagte an einem alten Vinylstiefel herum (Was hatte ich mir dabei nur gedacht?), und ich ließ ihn gewähren.
In der letzten Woche hatte ich eine Fernsehsendung über diese Frau gesehen, die ohne Beine geboren worden war. Sie war Automechanikerin … aber keine Beine zu haben mache ihren Job sogar leichter, hatte sie gesagt, weil sie mit diesem kleinen Skateboard-Ding, mit dem sie auch sonst herumfuhr, einfach unter die Autos rollen konnte. Sie war ein Mal verheiratet gewesen, hatte jetzt aber zwei andere Typen und genoss das Leben im Moment einfach nur. Als Nächstes war ihr Exmann interviewt worden, ein gut aussehender Kerl mit zwei Beinen, das ganze Programm. „Ich würde alles tun, um sie zurückzugewinnen, aber ich bin einfach nicht gut genug für sie“, hatte er geklagt. „Ich hoffe, sie findet, was sie sucht.“
Danach war ich fast ein
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