Ich habe mich verträumt
habt, und ich nehme euch gerne mit.“
„Auf keinen Fall“, murmelte Kerry. „So dringend brauche ich die extra Punkte dann auch wieder nicht.“
„Danke, Ms Em“, rief Hunter. „Klingt nach Spaß.“
Natürlich würde Hunter nicht mitkommen, auch wenn er einer meiner höflichsten Schüler war. An Wochenenden unternahm er Dinge wie mit Derek Jeter vor einem Spiel der Yankees essen zu gehen oder in eines der vielen Ferienhäuser der Familie zu fliegen. Tommy Michener dagegen könnte Interesse haben, da er Geschichte anscheinend mochte – seine Arbeiten zeigten recht viel Wissen und Überblick –, aber wahrscheinlich würde er dem Gruppendruck nicht standhalten und daher doch lieber zu Hause bleiben und sich nach Kerry verzehren.Für die nette, bodenständige Emma Kirk hatte er leider überhaupt nichts übrig.
„Hey, Tommy?“, rief ich ihm nach.
Er drehte sich um. „Ja, Ms Em?“
Ich wartete, bis die anderen gegangen waren. „Ist bei dir in letzter Zeit alles okay?“
Er lächelte gezwungen. „Ach, ja. Nur der allgemeine Mist.“
„Du kannst es besser treffen als mit Kerry“, sagte ich freundlich.
Er schnaubte. „Das sagt mein Dad auch.“
„Na, siehst du? Zwei deiner Lieblingserwachsenen sind sich einig.“
„Tja, man kann sich aber nun mal nicht aussuchen, in wen man sich verliebt, oder, Ms Em?“
Ich zögerte kurz. „Nein. Da hast du wohl recht.“
Tommy ging, und ich sammelte meine Unterlagen ein. Geschichte war schwer zu unterrichten. Die meisten Teenager erinnerten sich kaum an das, was letzten Monat passiert war, geschweige denn, vor eineinhalb Jahrhunderten, aber trotzdem. Ich wollte, dass sie fühlten , wie die Geschichte auch die Welt beeinflusste, in der wir lebten. Insbesondere der Bürgerkrieg, mein Lieblingsthema der amerikanischen Geschichte. Ich wollte, dass sie begriffen, was damals auf dem Spiel gestanden hatte, und sich die Last, den Schmerz und die Unsicherheit vorstellten, die Präsident Lincoln empfunden haben musste, oder den Verlust und den Betrug, den die Südstaatler erfuhren, die sich von den Nordstaaten getrennt …
„Hallo Grace.“ Ava stand im Türrahmen und stellte ihr Markenzeichen zur Schau, ein schläfriges Lächeln, gefolgt von drei langsamen, verführerischen Augenaufschlägen. Da war der erste … der zweite … und … der dritte.
„Ava! Wie geht es dir?“, entgegnete ich und zwang mich zu lächeln.
„Sehr gut, danke.“ Sie legte den Kopf schief, sodass ihr seidiges Haar auf eine Seite fiel. „Hast du die Neuigkeiten schon gehört?“
Ich zögerte. Im Gegensatz zu mir war Ava immer auf dem neuesten Stand, was Klatsch, Tratsch und Schulpolitik an der Manning betraf. Ich gehörte zu den Lehrern, die sich sträubten, sich bei den Kuratoren und wohlhabenden Ehemaligen anzubiedern, da ich meine Zeit lieber mit Unterrichtsvorbereitung und Nachhilfe für schwache Schüler verbrachte. Ava dagegen wusste das System zu nutzen. Hinzu kam, dass ich nicht auf dem Campus wohnte (Ava besaß ein kleines Haus am Rande des Campus – man munkelte, dass sie dafür mit dem Leiter der Hausverwaltung geschlafen hatte) und sie allein schon durch die räumliche Nähe viel mehr mitbekam.
„Nein, Ava. Was sind das für Neuigkeiten?“ Ich versuchte, freundlich zu klingen. Ihre Bluse war so tief ausgeschnitten, dass ich ein tätowiertes chinesisches Schriftzeichen auf ihrer rechten Brust erkennen konnte. Was bedeutete, dass jeder Jugendliche, der in ihrem Klassenzimmer saß, es auch sah.
„Dr. Eckhart tritt als Leiter des Fachbereichs Geschichte zurück. Er geht in den Ruhestand.“ Sie grinste wie die Katze aus Alice im Wunderland . „Das habe ich von Theo gehört. Wir sehen uns ja öfter.“ Na toll. Theo Eisenbraun war Vorsitzender des Kuratoriums der Manning Academy.
„Aha. Das ist interessant“, kommentierte ich.
„Er wird es gegen Ende der Woche bekannt geben, und Theo hat mir schon geraten, mich zu bewerben.“ Lächel. Blinzel. Blinzel. Und … bitte warten … das dritte Blinzeln.
„Toll. Also, ich muss schnell nach Hause, etwas essen. Bis später.“
„Zu schade, dass du nicht auf dem Campus wohnst, Grace. Es würde nach viel mehr Verbundenheit mit der Manning aussehen.“
„Danke, dass du dir darüber Gedanken machst.“ Hastig schob ich meine Unterlagen in die speckige Ledertasche. Avas Neuigkeiten hatten einen wunden Punkt getroffen. Dr. Eckhart war alt, aber eigentlich war er schon lange alt gewesen. Er war derjenige, der mich vor sechs
Weitere Kostenlose Bücher