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Ich habe mich verträumt

Ich habe mich verträumt

Titel: Ich habe mich verträumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristan Higgins
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dem Boden. Ich ging zur Arbeit und hielt meinen Unterricht ab … und das sogar sehr gut, wie ich fand. Ich ging unter Leute. Okay, meine Aktivitäten beschränkten sich in erster Linie auf den Tanzkurs im Seniorenheim und das Nachstellen von Bürgerkriegsschlachten, aber ich ging unter Leute. Und ja, ich hätte wirklich liebend gern einen neuen Freund gehabt – am besten eine Mischung aus Atticus Finch und Tim Gunn mit dem Aussehen von George Clooney –, aber das war leider reine Theorie.
    Hier war ich also wieder mal auf einer Hochzeit – der vierten seit dem Abservieren, der vierten ohne Begleitung – und versuchte tapfer, Fröhlichkeit zu verbreiten, damit meine Verwandten aufhörten, mich zu bemitleiden und mit merkwürdig aussehenden entfernten Cousins zu verkuppeln. Dabei versuchte ich, den „Look“ zu perfektionieren – amüsiertes Interesse, innere Zufriedenheit und vollkommenes Wohlgefühl. Nach dem Motto: Hallo, es geht mir ganz und gar gut dabei, wieder mal allein auf einer Hochzeit zu sein, und ich suche auch gar nicht verzweifelt nach einem Mann, aber wenn Sie zufällig hetero, unter fünfundvierzig, attraktiv, finanziell abgesichert und moralisch unbedenklich sind, kommen Sie her! Sobald ich den „Look“ beherrschte, würde ich als Nächstes Atome spalten, da es ungefähr dasselbe Maß an Fähigkeiten erforderte.
    Aber wer wusste schon, was passieren würde? Vielleicht würde gerade heute mein Blick auf jemanden fallen, der ebenfalls Single und auf der Suche war, ohne verzweifelt oder bemitleidenswert zu wirken – nehmen wir, rein theoretisch, mal an, ein Kinderchirurg – und Kabumm ! Wir würden es einfach wissen.
    Leider ließ meine Frisur mich bestenfalls zigeunermäßig hübsch und verwegen aussehen, wahrscheinlich aber eher wie eine Reinkarnation der Schauspielerin Gilda Radner (die mit den wilden Frisselhaaren). Ich nahm mir vor, einen Exorzisten ausfindig zu machen, der die bösen Geister aus meinen Haaren vertreiben sollte, die dafür berüchtigt waren, dass sie Kämmezerbrechen und Haarbürsten fressen konnten.
    Hmm. Da war tatsächlich ein süßer Kerl. Ein bisschen strebermäßig, dünn, Brille – definitiv mein Typ. Als er merkte, dass ich ihn ansah, griff er sofort hinter sich und suchte nach einer Hand, die zu einem Arm gehörte, der zu einer Frau gehörte, die er demonstrativ anstrahlte. Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und blickte sich dann wieder nervös zu mir um. Schon gut, schon gut, keine Panik, Mister, dachte ich. Die Botschaft ist angekommen.
    Tatsächlich schienen alle Männer unter vierzig vergeben zu sein. Allerdings gab es ein paar Achtzigjährige, von denen mich einer angrinste. Hmm. War achtzig zu alt? Womöglich sollte ich es tatsächlich einmal mit einem Sugardaddy versuchen. Vielleicht verschwendete ich mit Männern, die noch eine funktionierende Prostata und eigene Knie besaßen, nur meine Zeit. Der alte Herr hob die buschigen Brauen, aber seine Einladung an mich, sein süßes, junges Ding zu sein, endete abrupt, als seine Frau ihm den Ellbogen in die Seite rammte und mich böse anfunkelte.
    „Keine Sorge, Grace. Du kommst auch bald an die Reihe“, dröhnte jemand mit nebelhornlauter Stimme.
    „Man kann nie wissen, Tante Mavis“, erwiderte ich mit lieblichem Lächeln. Es war bereits das achte Mal heute Abend, dass ich diesen Spruch hörte, und allmählich zog ich in Erwägung, ihn mir auf die Stirn tätowieren zu lassen. Ich mache mir keine Sorgen. Bald komme ich an die Reihe .
    „Ist es schwer, sie zusammen zu sehen?“, tönte Mavis.
    „Nein. Überhaupt nicht“, log ich lächelnd. „Ich freue mich, dass sie zusammen sind.“ Gut, „freuen“ war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber trotzdem. Was sollte ich sonst sagen? Es war kompliziert.
    „Du bist so tapfer“, lobte Mavis. „Du bist wirklich eine ausgesprochen tapfere Frau, Grace Emerson.“ Dann stampfte sie davon, um sich ein neues Opfer zu suchen.
    „Okay, raus mit der Sprache“, verlangte meine Schwester Margaret und ließ sich neben mir auf einen Stuhl plumpsen.„Suchst du nach einem scharfen Gegenstand, um dir die Pulsadern aufzuschlitzen? Oder willst du lieber ein bisschen Kohlenmonoxid schnüffeln?“
    „Hör dich nur an, du Ausbund an Anteilnahme. Deine schwesterliche Fürsorge treibt mir geradezu die Tränen in die Augen.“
    Sie grinste. „Und? Sag’s deiner großen Schwester.“
    Ich nahm einen großen Schluck Gin Tonic. „Es nervt mich schrecklich, ständig

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