Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
Kopfschmerz.
Zehn Minuten später hocke ich mit untergeschlagenen Beinen auf einem Wohnzimmerboden. Zwölf Kinder hämmern und klatschen diverse Gegenstände aneinander, aber kein einziges versucht, den energischen Rhythmus des spanischen Gitarristen aufzugreifen. Ich sitze zwischen Sarah und Cassidy, die in einem Akt selbstloser Großzügigkeit für dieses allwöchentliche Chaos ihr Haus zur Verfügung gestellt hat. Stück für Stück schiebe ich mich vorwärts in Richtung Teppich, während Beccas Hund, ein kleines, träges Ding mit unglaublich langer Zunge, versucht, mich abzuschlecken. Becca kriegt davon nichts mit; vielleicht kriegt sie es auch mit, sieht sich aber nicht genötigt einzugreifen. Die meiste Zeit ist sie so erschöpft vom Dasein als Mutter kleiner Kinder, dass sie zu gar nichts in der Lage ist außer zum Stöhnen. Sie hat sich auf dem Sofa ausgestreckt und versucht gerade, sich unter einem Zweijährigen hervorzuwinden, der auf ihr herumklettert. Becca heißt eigentlich Rebecca, aber die ersten beiden Buchstaben hat sie weggelassen. Vielleicht war sie zu müde, sie mitzusprechen.
Zähneknirschend murmele ich Vers um Vers, bis die Stunde schließlich zu Ende ist.
»Ich bin dafür so dankbar«, sagt Sarah leise und streckt die Beine aus. »Damit habe ich einen Tag lang kein schlechtes Gewissen.« Mit einem leisen Schnauben gebe ich ihr zu verstehen, dass ich weiß, was sie meint. »Geht’s dir gut? Du siehst ein bisschen angegriffen aus.« Sie mustert mich neugierig, zweifellos bereit, jederzeit Trost oder Unterstützung zu spenden.
Ich lächle mechanisch. »Was macht man, wenn man einen Hund überfahren hat? Ich meine, muss man da was Bestimmtes beachten?«
Sie zuckt die Achseln. »Den Tierschutzverein anrufen?«
Becca, die zugehört hat, richtet sich mit entrüsteter Miene auf dem Sofa auf. »Einen Hund überfahren? Beten – das würde ich. Also, ich würde wegen Maxie weinen.«
Sarah und ich sehen einander an, während eine lange, von Pedigree-Snacks aufgerauhte Zunge über mein Kinn raspelt, nur knapp an der Unterlippe vorbei. Zeit aufzustehen.
»Warum fragst du?«, will Sarah wissen und entwindet Phoebes eisernem Griff ein Plastikspielzeug.
»Ich habe gehört, dass beim Parkplatz an der Brücke ein Hund gefunden worden ist.«
Becca verzieht das Gesicht und lässt sich wieder in die Kissen sinken. »Das arme Ding.«
Wir sammeln Triangeln und Xylophone ein, danken dem Gitarristen überschwenglich. Nur das, worauf ich lauere, kommt nicht: »Das war der Hund von XY.« Niemand scheint etwas zu wissen. In diesem kleinen, vertratschten Viertel hat niemand etwas gehört.
Wir reden über die Schule und diverse Gremien, denen Sarah angehört; sie erzählt etwas vom Elternrat und einer Aktionsgruppe.
»Die Belgier hätten den Kongo dir überlassen sollen, du hättest das besser gemacht als sie«, sage ich.
Ava drückt den Power-Knopf am Fernseher, der Bildschirm geht an. Während ich der Nachrichten-Erkennungsmelodie lausche, trudelt Ava in den Flur hinaus. Ich sollte den Kasten ausmachen, bin aber zu träge. »Lass nur«, sagt Sarah, »die hatten ihren Spaß.«
Wir verfolgen eine Meldung über irgendeinen Regierungsskandal, die durch gelegentliches Kreischen von oben begleitet wird. Einen Bericht aus dem Iran, von dem ich nur die Hälfte mitkriege, weil wir gerade den Gitarristen verabschieden und ich dankbar die Tasse Tee nehme, die mir jemand hinhält. »Mami!« Avas Geschrei treibt mich in den Flur. Sie versucht, einen Roller zu ergattern, an dem ein anderes Kind sich festkrallt. Als ich wieder ins Wohnzimmer komme, füllt das lächelnde Gesicht einer Blondine den gesamten Bildschirm aus; gleich darauf ist es jedoch durch Maxies strampelnde Pfoten verdeckt. Becca hat ihn hochgenommen. Ich sehe dazwischen Polizisten in weißen Schutzanzügen, schnappe ein paar Worte über eine benachbarte Gegend auf, dass die Frau Filmemacherin gewesen und erstochen worden sei …
Sarah schaltet um. Irgendetwas murmele ich, als ich ihr die Fernbedienung aus der Hand reiße und wild darauf herumdrücke. Trotzdem verpasse ich kostbare Sekunden. Bis ich den richtigen Kanal wiedergefunden habe, ist der Bericht vorbei. Jetzt erst registriere ich, dass es still geworden ist im Raum und fünf Mütter mich aufmerksam mustern.
Ich ziehe mich an den einzig möglichen Zufluchtsort zurück: in die Toilette. Mir ist so schlecht, dass ich das Fenster aufreißen muss. Ich weiß nicht, wann dieser … nicht mal
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