Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
hast gesagt, ihr wäret den ganzen Abend zusammen gewesen!«
»Hab ich nicht!«
»Psst.«
Paul runzelt die Stirn. »Wieso soll ich leise sein?«
»Und wo warst du?«
»Ich bin ein bisschen herumgefahren. Allein. War noch in zwei oder drei Bars. Ich wollte allein sein …«
»Allein?« Meine Frage hängt in der Luft. Wenn es um Beziehungen ging, hat Paul immer zugesehen, dass das neue Glas Wein schon dastand, bevor er das alte leerte. Wenn mich nicht alles täuscht, war er mit sechzehn das letzte Mal Single. Zu viel Kontakt ist für Paul gar nicht möglich; »zu viele Menschen«, das ist für ihn kein Begriff. Wenn er auf Reisen geht, höre ich ihn vorher telefonisch ein Abendessen für zwölf Leute verabreden oder einen Kneipenabend mit alten Kumpels; er nimmt gern vom Hotel aus eine zweistündige Autofahrt auf sich, nur um einen früheren Schulfreund zu treffen, nur um zu reden und zu hören, was es Neues gibt. Wird er durch Verspätungen an einem Flughafen aufgehalten, füllt er die Lücken, indem er mich anruft und mit mir redet. Paul erträgt es nicht, allein zu sein. »Warum?«
Er zuckt die Achseln. »Manchmal … ich weiß nicht … mir war einfach nach so einem Abend.«
»Hast du eine Affäre?«
»Kate! Wie kannst du das auch nur fragen?« In diesem Moment habe ich nicht die leiseste Ahnung, ob er lügt oder nicht. Ich weiß es einfach nicht, und das macht mich kirre. Ich habe immer gedacht, ich würde es merken, ein Blick, eine Geste, eine Bemerkung würde es verraten, aber jetzt fische ich im Trüben.
»Hast du … hast du jemandem was angetan, Paul?« Noch bringe ich das Wort, das er selbst gebraucht hat, nicht über die Lippen.
Er fährt zurück. »Was redest du da?«
»Du hast an dem Abend schreckliche Sachen gesagt …«
»Ich war betrunken.«
»Und wenn schon. Ich habe Angst um dich.«
»Du glaubst mir einfach nicht.« Er sieht mich wachsam an, und ich weiß seine Miene nicht zu deuten.
»Ein Hund … ich weiß nicht, das kommt mir komisch vor. Sag mir doch bitte die Wahrheit, Paul!«
»Moment mal«, flüstert er scharf, »willst du sagen, du glaubst, ich hätte jemanden umgebracht?«
»Bitte, Paul, ich helfe dir …«
»Du bist ja völlig durchgeknallt!«
»Du hast immer gesagt: ›sie‹. ›Ich habe sie getötet‹«, insistiere ich und beuge mich so nahe wie möglich zu ihm hinüber.
»Meinst du, zu so was wäre ich imstande? Meinst du das? «
»Psst.« Wir starren den Hinterkopf des Fahrers an. »Du hattest Blut an den Händen …«
»Du hast komplett den Verstand verloren!«, faucht er mir ins Ohr.
Jetzt kommen mir die Tränen. Stundenlang aufgestauter Zorn und Stress entladen sich. »Mein Gott, Paul, so lass mich dir doch helfen! Ich bin deine Frau, du kannst mir alles sagen.« Ich kralle mich an seinem Revers fest, forsche in seinem Gesicht nach einem Zeichen.
Er stößt mich weg und sieht aus dem Fenster. »Gar nichts ist passiert«, sagt er kalt. Sein Ton hat etwas Bedrohliches, wie ich es bei meinem Mann noch nie wahrgenommen habe. »Hör auf damit. Es ist langweilig.«
Als das Taxi hält, schlucke ich meine Tränen hinunter, und wir gehen steifbeinig und mit großem Abstand zwischen uns den Gartenweg hinauf.
10
A m nächsten Morgen küsst Paul mich kurz auf die Wange, bevor er zur Arbeit fährt, und ich gebe mich meinen Grübeleien hin. Ich gehe zur Schule, um Ava einzusammeln; Josh bleibt noch zu seiner Bandprobe. Den rund fünfzig anderen Müttern und einem Vater lächle ich matt zu, froh, dass niemand versucht, mich in ein Gespräch zu ziehen; heute würde mir rein gar nichts einfallen.
»Na los, Kate, hopp hopp, heute kann Ava die Maraka nehmen, und Phoebe kriegt das Tamburin.« In gespieltem Eifer klopft Sarah mir auf den Rücken, während wir mit unseren Töchtern den Schulhof durchqueren. Es ist der Tag der Musikgruppe, einer Nachmittagsaktivität für Krippen- und Kindergartenkinder, bei der in Wahrheit die Mütter zusammenkommen, um zu tratschen, zu jammern, Kaffee mit Schuss zu trinken und eine Stunde totzuschlagen. Sarah arbeitet als Teilzeit-Dokumentarin im Parlament, was – wie sie immer sagt – bedeutet, dass sie von einem Haufen Kinder zum nächsten wechselt.
Ich habe wirklich überhaupt keine Lust, schaffe es aber nicht, nein zu sagen. Also gebe ich mich geschlagen. Beim Überqueren der Straße nehmen wir unsere Kinder zwischen uns. Ich zwinge ein Lächeln auf mein Gesicht. Hinter meinen Augen meldet sich ein pochender
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