Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
der wir kommen. Wie er es sich gewünscht hat, sind wir allein; weit und breit ist niemand zu sehen. Hast du wirklich deinen Geschäftspartner und alten Freund reingelegt und Melody nicht aus Liebe, sondern des Geldes wegen ermordet?
Willst du die Sache jetzt zu Ende bringen, indem du die Mutter deiner Kinder umbringst, die dir praktischerweise ein Alibi geliefert hat? Am Fähranleger, wo ich dich getroffen habe, war niemand, weil kein Fährbetrieb mehr ist. Keine Menschenseele hat mich gesehen, von den wenigen Passanten hat kaum einer auch nur mal kurz in meine Richtung geschaut. Hier kannst du völlig unbemerkt langgehen; in diesem Teil der Stadt, wo wir sonst nie sind, weit weg von zu Hause, bist du einfach ein Fremder. Lex’ Worte klingen mir wie ein Mantra in den Ohren: Da schiebt mir jemand was in die Schuhe.
In meinem Verhör-Lehrgang habe ich Polizeivideos von Verdächtigen gesehen, denen völlig unterschiedliche Vergehen vorgeworfen wurden, vom Ladendiebstahl bis zum Mord. Die Verbrechen aus Leidenschaft waren die schlimmsten (ein Mann hatte seine Mutter mit einer Eisenstange zu Tode geprügelt, eine Frau dreizehn Mal mit einem Küchenmesser auf ihre Zwillingsschwester eingestochen), aber sie erschienen mir in gewisser Weise ehrlich; man konnte verstehen, wie es dazu gekommen war. Leidenschaft kann das Untier in uns freisetzen, den unbändigen Zorn, den wir vielleicht alle in uns tragen. Diese Mörder sind einem vorübergehenden Wahnsinn verfallen und dazu verdammt, an den Jahrestagen ihrer Taten wegen Selbstmordgefahr unter Beobachtung zu stehen, denn was sie in jenem Sekundenbruchteil angerichtet haben, verfolgt sie den gesamten Rest ihres Lebens. Aber jemanden gezielt hereinzulegen, ihm etwas in die Schuhe zu schieben, das erfordert die schwärzeste aller Seelen, denn es folgt einem Plan.
»Es ist schrecklich hier unten, oder?« Paul kommt näher an mich heran. Ich bleibe stehen und lehne mich rücklings an die Wand, die hier gerade eine Biegung macht. Ich spüre die kalten Fliesen am Po. »Hier kann man ja richtig Angst kriegen, Kate. Geh hier bloß nie allein durch!« Er steckt die Hand in die Tasche. Mir stockt der Atem.
Er kommt noch einen Schritt auf mich zu; einer seiner Schuhe quietscht leise. Ich schaue meinem Mann ins Gesicht, und plötzlich klingen mir Worte aus unserem Trauungszeremoniell in den Ohren, klar und deutlich wie Glockengeläut an einem Sonntagmorgen. »… lieben, was ich von dir kenne, und vertrauen auf das, was ich noch nicht kenne …« Aber wie gut kenne ich dich wirklich, Paul? Seit zehn Jahren schlafe ich mit dir; ich weiß, wo dir beim Orgasmus der Schweiß runterläuft; ich erinnere mich an den Ausdruck auf deinem Gesicht, als unsere Kinder aus meinem aufgerissenen Leib gezogen wurden; ich habe dich scheißen und kotzen und vor Schmerz schreien sehen. Ich weiß, wie du beim Einschlafen zuckst, wie dir die Tränen kommen, wenn dein sonniges Gemüt ein seltenes Mal von Trauer überwältigt wird; ich weiß um deine verborgensten Ängste und lache über deine arroganten Unterstellungen. Ich weiß, du willst verbrannt und nicht beerdigt werden, und du hoffst, dass Josh und Ava – dann schon vollendete Erwachsene – und ich bei Devon auf einer angemessen beeindruckenden Klippe stehen und deine Asche in den Westwind streuen.
Ich habe mein Leben mit dir geteilt, mit dir zusammen zwei neue Leben hervorgebracht, angenommen, dass ich bis zum Ende mit dir leben würde, unsagbar viele Stunden mit dir verbracht, aber jetzt und hier, tief unter dem Fluss, der durch die Stadt fließt, in der wir dieses Leben gelebt haben, begreife ich, dass ich dich überhaupt nicht kenne.
Ich weiß nicht, wozu du imstande bist, kann deine Absichten und Beweggründe nicht erahnen. Vielleicht tötest du mich, vielleicht umarmst du mich, ich weiß es nicht mehr. Wir haben das Vertrauen zerstört. Ich habe für dich gelogen, einen Meineid geleistet in dem Versuch, unser perfektes Leben zu retten, habe Lex seinem Schicksal überlassen und … Melody natürlich, tut mir leid. In dem Moment dachte ich, ich habe keine Wahl.
»Du siehst aus, als ob du gleich umkippst«, sagt Paul, zieht ein Taschentuch aus der Tasche und gibt es mir. Ich halte es vor mein Gesicht wie eine weiße Fahne. Kapitulation. »Komm, stütz dich auf mich, und dann gehen wir hier raus.«
Endlich erreichen wir das andere Ende, und ich bringe nicht mal ein Stöhnen zustande, als ich das Schild sehe, auf dem steht, dass auch auf
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