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Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)

Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)

Titel: Ich habe sie getötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ali Knight
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im Krieg müssen sie die ganze Nacht hier unten gewesen sein, stell dir das mal vor.«
    Ich wechsle das Thema – nur schnell!
    »Mit wem hast du dich hier in der Gegend getroffen?«
    »Mit einem BBC-Manager.«
    »Komischer Treffpunkt.«
    »Er ist am City Airport angekommen. Der liegt gleich auf der anderen Seite des Tunnels, du musst nur ein kleines Stück geradeaus fahren.«
    »Aha.«
    »Guck mal, Wasser!« Paul streckt die Hand aus und berührt die schmuddeligen weißen Fliesen. Da ist ein winziges Leck. Wasser tropft auf den Asphalt.
    »Komm weiter, schnell.« Ich beschleunige meinen Schritt, will endlich raus aus diesem unterirdischen Gefängnis, will keinesfalls an die Wassermassen über uns denken – mein Gott, was ist, wenn die Lichter ausgehen?
    »Wenn die Lichter ausgingen, wär’s lustig hier unten«, sagt Paul und schlendert, meine Tasche schwenkend, gleichmütig weiter.
    »Hör auf!«
    »Was ist? Traust du mir nicht, Kate?«
    Da begreife ich plötzlich, dass er mich verletzen will . Ich erstarre. Mir kommen Bilder in den Sinn von einem Picknick auf dem Hampstead Heath, das jetzt fünf, vielleicht auch sechs Jahre zurückliegt. Es war Sommer; wir hatten in der Stadt ein paar herrlich heiße Tage, die mir in Erinnerung geblieben sind, weil es davon nicht so viele gibt. Am frühen Abend hatten wir uns ein nettes Plätzchen gesucht; Josh trudelte um uns herum, und Jessie hatte eine Freundin mitgebracht, die begeistert von ihrem Schauspielunterricht erzählte. Sie hätten gelernt, erklärte sie, dass das Zusammenspiel mehrerer Akteure auf der Bühne großes Vertrauen erfordere; sie müssten wissen, dass sie sich blindlings aufeinander verlassen könnten. Und sie lernten, dieses Vertrauen aufzubauen, indem sie ein Spiel spielten: Sie mussten sich fallen lassen und einander auffangen. Das mache Spaß, sagte sie, also spielten wir es auch, im Gras auf dem Heath, im Licht der Abendsonne, mit nackten Schultern und einem Schweißfilm auf der Haut.
    »Na los, Eggy, du musst rückwärts in meine Arme fallen«, sagte Paul. Ich zögerte, stand mit verschränkten Armen da und drehte mich ängstlich nach hinten um. »Na los!« Er ging noch einen Schritt weiter weg, vergrößerte den Abstand zwischen uns. »Traust du mir nicht?« Er lockte mich mit den Fingern, forderte mich auf, mich ganz seiner Gnade auszuliefern. Sein Gesicht war braun gebrannt, die weißen Zähne blitzten.
    »Natürlich traue ich dir, aber du stehst zu weit weg. So groß bin ich nicht.«
    »Ich fang dich auf.« Und dann wiederholte er: »Traust du mir nicht?«
    »Mach doch, Kate«, drängte Jessie, »das Risiko musst du eingehen. Was kann denn schon passieren?« Also schloss ich die Augen, machte mich steif und ließ mich nach hinten fallen. Sein »Scheiße!« hörte ich zu spät, da krachte ich schon, die nackten Schultern voran, mit voller Wucht auf den aufgeheizten Boden. Ich lag da, und mir blieb die Luft weg; sprachlos starrte ich in die Gesichter der anderen, die sich über mich beugten und die Sonne verdeckten.
    Er hatte mich nicht aufgefangen! Ich hörte ein Gewirr aus aufgeregten Stimmen und schrillem Lachen, konzentrierte mich aber auf eine Frequenz: den flehenden Ton meines Mannes, der sich immer wieder entschuldigte und zu erklären versuchte, was schiefgegangen war. »Ich dachte, der letzte Moment des Fallens ist der aufregendste. Ich wollte echten Nervenkitzel für dich …«
    »Oder dich erschrecken!«, rief jemand dazwischen.
    »… und dich erst in letzter Sekunde auffangen …«
    »Dafür wird sie dich umbringen!«, sagte Jessie kopfschüttelnd und hielt mir ein Weinglas an die Lippen.
    Die meisten Freunde fanden das damals komisch. Paul und ich nicht. Er wusste, dass er mich damit nicht nur physisch verletzt hatte, dass ich eine tiefere Bedeutung für unsere Beziehung in das Vorkommnis hineindeuten würde und dass es mir äußerst schwerfallen würde, ihm zu verzeihen.
    Jetzt steigt der Tunnel wieder an, wir befinden uns unter dem tiefsten Abschnitt des Flusses. Unsere Schritte hallen in dem engen Gang wider. Wie schwarz ist deine Seele, Paul? Ich sehe ihn im Profil, sein Kopf ist leicht nach vorn geneigt. Die gerade Nase, die ich in jedem nur möglichen Winkel geküsst habe, bildet eine vertikale Linie; an den Augen, die ich unzählige Male vor Lachen zusammengekniffen gesehen habe, bilden sich die ersten Krähenfüße. Sein Mantel ist offen, wie immer. Er bleibt stehen, dreht sich um und blickt zurück, in die Richtung, aus

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