Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Realisierung der Partitur für die sechs Sinne von 1961. Vielleicht könnte ich sogar endlich meine Lichthöhle erbauen, ein Gebilde organischer Art, das von Wasser und Licht durchflutet wird, ein Besinnungsort, ein Tempel. Das Ganze schlug ich als Projekt vor.
Für dieses Unternehmen wäre natürlich ein Umzug wieder in die USA nötig. Ich teilte Stockhausen meine Überlegungen mit, es betraf ja auch unsere beiden Kinder. Er war erschüttert, noch einmal brach die Verzweiflung über unsere Trennung aus ihm heraus: »Bitte, Mariechen, tu uns das nicht an, wir werden uns vollständig verlieren.« Er bot mir an, mich finanziell zu unterstützen, bis ich eine neue Galerie gefunden hätte. Er wollte mich sogar für das Korrigieren seiner Partituren bezahlen.
Ich ließ die Entscheidung offen bis nach der Niederkunft, die bei mir immer auch eine Zeit der Erschöpfung war. Die enormen Kräfte, die ich aus Schwangerschaften gewann, forderten dann Ruhepausen, Verinnerlichung. Mir wurde schließlich klar, dass ich das ganze Projekt zu diesem Zeitpunkt nicht würde leisten können. Umziehen, das Baby stillen, die Kinder an eine neue Umgebung gewöhnen, an eine neue Sprache – Jule war jetzt acht, Simon sieben, Sofie fast drei Jahre alt –, und dazu die Einarbeitung in die neuen Aufgaben, in die Rolle einer Lehrerin: Nein, ich würde es nicht schaffen. Entweder würden meine Kinder zu leiden haben oder die Studenten, denen ich nicht geben könnte, was ich in meiner Bewerbung angekündigt hatte.
Jetzt hätte ich den Beistand eines Beschützers brauchen können. Dafür eignen sich aber Künstlermänner nicht. Ich sagte also ab. Stockhausen war überglücklich und versorgte mich in den kommenden Jahren mit weiteren Aufträgen für Kostüme und später für zwei Filmsequenzen, die er 1980 auf dem Holland-Festival, dem größten und ältesten Kunst- und Musikfest der Niederlande, in Michaels Heimkehr einsetzte, dem dritten Akt des Donnerstags aus der Oper Licht . Diese beiden Filmeinschübe mit dem Titel »Sonnen- und Mondkinder« wurden vom Münchner Filmemacher Bodo Kessler realisiert. Er filmte Details aus meinen Werken und Sonnenuntergänge in Forsbach, die dann übereinanderkopiert wurden, so dass man glaubte, mehrere Sonnen zeitverzögert hinter dem Horizont verschwinden zu sehen.
Stockhausen schickte mir in all den Jahren seine Partituren, seine Einladungen, er ließ mich teilhaben an seinem Werde gang. Unsere Zusammenarbeit endete erst, als große Opernhäuser mit eigenen Kostüm-, Masken- und Bühnenbildnern Stockhausens neue Auftraggeber wurden. Er war auf der Höhe seines Ruhms angekommen.
1978 besuchte Jill Purce uns noch einmal in Deutschland. Sie kam mit Suzanne, deren Schwester Jane und Stockhausen ins Forsbacher Atelier herüber. Wibke von Bonin drehte zu der Zeit, wieder mit dem Münchner Bodo Kessler, einen Film über mein Anwesen mit dem Titel Der Wundergarten der Mary Bauermeister . Man sieht darin in einer Passage Stockhausen und drei schöne junge Frauen eine drei Meter hohe Skulptur von mir bestaunen: Lebensbaum , eine Auftragsarbeit fürs GoetheInstitut in London. Stockhausen war lange nicht mehr zu Besuch bei mir gewesen und sagte: »Welch ein Märchenreich hast du dir hier geschaffen!« Da zwinkerte ich ihm zu: »Und alles trotz meiner dir so suspekten Handhabung von Geld und Materie.« Er hatte ja auch meinen Umgang mit Geld oft kritisiert, denn er hatte nie verstanden, wie ich mir für die weitere Anhäufung von »Materie«, wenn auch schöner, auch noch Schulden aufhalsen konnte.
Ich sage manchmal scherzhaft, dass ich meinen Lebensstil nicht von meinem Einkommen abhängig mache, und meine damit, dass ich erst das tue, was mir gut und richtig erscheint, und dann erst zusehe, wo und wie die Mittel dafür zu beschaf fen sind. Stockhausen hingegen sparte immer erst und gab dann aus. Aber mit den Jahren hatte auch er sich gewandelt. Die erreichten Sicherheiten hatten sein Selbstvertrauen und seine Großzügigkeit gestärkt. Michael von Biel, Komponist und ehemaliger Schüler Stockhausens, erzählte mir, dass er Stockhausen einmal eine finanzielle Notlage geklagt habe, worauf der ihm einen Blankoscheck unterschrieben und gegeben habe mit den Worten: »Schreib die Summe rein, die du brauchst. Geschenk an dein Talent, du bist Geist von meinem Geiste.«
Noch viele Jahre lang nahm er immer eines oder zwei der Kinder auf große Reisen mit. Ostern und Weihnachten feierten wir weiter als Familienfeste in
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