Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
»Wunderbare Kinder hast Du geboren, geliebte Maka. Dein Löwenmann.« Und auf der Rückseite stand: »Am allerliebsten habe ich Dich. Unsterbliche Maka. Nicht nur im Sommer 1974, sondern unendlich.« Das war, bevor Suzanne Stephens in sein Leben trat.
In den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren verbanden uns auch noch die Freuden und Sorgen um unsere heranwachsenden Kinder. Stockhausen hätte am liebsten alle seine sechs Kinder zu Musikern und Musikerinnen erzogen. Bei vieren ist ihm das ja auch gelungen. Julika, unsere Älteste, hätte das Zeug zu vielem Künstlerischen gehabt – Malerin, Musikerin oder Schauspielerin. Wie hatte sie uns als Kind ergötzt mit kleinen improvisierten Auftritten, manchmal auch mit dramatischem Nachspielen der Tagesthemen betroffen gemacht. Sie verwei gerte jedoch jede entsprechende Ausbildung und tendierte immer deutlicher in Richtung auf einen sozialen Beruf. Mit großer Fürsorge hat sie mir schon früh geholfen, ihre kleinen Halbschwestern Sofie und Esther aufzuziehen. Das Mitgefühl ist bis heute eine ihrer hervorragendsten Eigenschaften. Nach dem Abitur verließ sie Deutschland, um in England Third World Studies, also Entwicklungshilfe, zu studieren, und arbeitete danach in Tansania und Sri Lanka. Heute lebt sie mit ihren drei Kindern wieder in Deutschland und ist Lehrerin an einer integrativen Gesamtschule.
Dass Simon sich in seinem Leben vor allem der Musik widmen würde, war uns als Eltern schon früh deutlich geworden. Als er vier Jahre alt war, reiste ich einmal mit den Kindern in einem VW -Bus durch Marokko. Wir saßen in der Abendstimmung im Sand und betrachteten die untergehende Sonne. Außer uns kein Mensch weit und breit. Der Himmel färbte sich erst rosa, dann violett. In die weite Leere hinein ertönte von irgendwoher eine Flöte. Wir blickten in die Richtung, aus der die Töne kamen, und konnten schließlich ein paar Ziegen mit ihrem Hirten erkennen. Simon stieß einen tiefen Seufzer aus und rief: »Nun ist es noch viel schöner!« Da wusste ich, er würde Musiker werden.
Mit fünf Jahren erhielt er bei Doris seinen ersten Klavierunterricht. Wenn er am Klavier saß, lauschte er oft nach oben, er schien etwas zu hören. Er suchte dann auf den Tasten nach den entsprechenden Tönen, und wenn er sie gefunden hatte, rief er: »Mama, komm, mach Pünktchen!« Seine kleinen Hände konnten ja die Akkorde nicht greifen. Die Pünktchen, die ich auf die Tasten klebte, halfen ihm, das Gehörte in die Notenlinien einzutragen. Als ich diese Noten dann Stockhausen zeigte, wollte er nicht glauben, dass sie von Simon stammten. Erst als ich es ihm schwor, rief er aus: »Der Junge ist genial, besser als ich, unfassbar.«
Mit Simon tanzte er nicht wie mit Julika, aber er lobte und unterstützte ihn mit vielen Worten, zeigte ihm zum Beispiel, wie man die Akkorde durch Querlegen in Melodien verwandeln konnte. Und bald wurde er zum strengen Lehrmeister seines Sohnes. Er zeichnete ihm einen Tagesplan: Hausaufgaben, Essen, Üben, Spielen, Komponieren. »Ja, Simon, du hast ein Talent und damit Verantwortung. Du kannst dich nicht verglei chen mit deinen Spielkameraden, du kannst dich nur mit dei nem Talent vergleichen, dem bist du verpflichtet.«
1976, da war er neun Jahre alt, schrieb Simon das Klavierstück Winternacht für vier Hände und gewann damit unter achtzig Teilnehmern eines internationalen Wettbewerbs den ersten Preis; drei Jahre später komponierte er einen Choral, Wenn alle untreu werden . Im Alter von zwölf Jahren trat er in Stockhausens Komposition Sternklang als Synthesizerspieler auf, ebenso 1981 in seiner Oper Donnerstag aus Licht an der Mailänder Scala. Die Beschreibung von Simons weiterem musikalischen Werdegang würde ein eigenes Kapitel füllen, hier sei nur erwähnt, dass er sich besonders zum Experten für Synthesizermusik entwickelte. Er trug Passagen zur Oper Licht seines Vaters bei, aber auch andere Komponisten wie Peter Michael Hamel zogen ihn hinzu, zumal er stets über die neuesten Geräte verfügte und sich sehr gut in die Klangvorstellungen der Komponistenkollegen hineindenken konnte. Jahrelang hat er zusammen mit seinem Halbbruder Markus Stockhausen musikalische Präsentationen für Festivals oder Jubiläen erarbeitet. Die beiden, die über das absolute Gehör verfügen, improvisieren zu hören, ist eine reine Freude. Sein jüngster Großauftrag war die Musik zum Film Trip to Asia . Er begleitete Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker auf ihrer
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