Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Asientournee, und der Regisseur ließ den Film später nach dem von ihm hergestellten Soundtrack schneiden.
Simon hatte mich auch schon früh mit tiefsinnigen Fragen überrascht. Einmal ging es um Zahlen und das Zählen. »Mami, kannst du bis hundert zählen?« »Und bis tausend? Bis Million?« »Bis unendlich? Oder sogar bis Gott?« Gott war also noch jenseits von unendlich! Leider sah ich wie sein Vater später immer nur den begabten kommenden Musiker in ihm, übersah aber oft die Nöte des Heranwachsenden. Vieles, was ihn kränkte und verletzte, nahm ich gar nicht wahr. Das tut mir heute leid.
In den Achtzigerjahren erhielt ich von Stockhausen einmal ein Paket mit seinen abgewetzten ledernen Gärtnerhandschuhen und einem Brief. Die Arbeit in seinem Wald war die einzige Ablenkung vom Komponieren und Musizieren, die er sich gönnte, und nun schenkte er mir diese Handschuhe. Daraufhin packte ich denselben Karton voll mit eleganten Schuhen – Zeugen festlicher Gelegenheiten, zu denen ich einst mit ihm eingeladen war – und schickte ihn ihm zurück, ebenfalls versehen mit einem amüsanten Brief in der uns eigenen Wortspielsprache.
Aus den Handschuhen, seinem Dirigierrock sowie einigen gerahmten Partiturseiten schuf ich schließlich ein Werk, Requiem für einen Dirigierrock . Ich zeigte es zum ersten Mal bei der Tetralogieausstellung Fama Fluxus – Mythos Beuys – Legende Paik – Atelier Mary Bauermeister 2006 in Sindelfingen. Während der zweimonatigen Schau führten wir auch die Originale nochmals auf. Deshalb bezeichne ich das Werk als »Knollenstück«, denn es hat unzählige Ableger hervorgebracht. War es doch das Stück, auf das sich die spätere Fluxus-Bewegung zurückverfolgen ließ. Denn trotz aller Proteste von Maciunas gegen die New Yorker Aufführung von 1964 hätte er es am liebsten annektieren, seiner Bewegung einverleiben wollen. So hat zumindest auch Henry Flynt den Streik von damals und das Aufspalten der Fluxus-Bewegung beschrieben.
Ja, mit diesem Stück hatten wir, Stockhausen und ich, 1961 unsere Zusammenarbeit begonnen. Kontakte aus dem Jahr 1960, das war noch komponierte, strukturierte Musik gewesen. Originale dagegen war etwas bewusst chaotisch Wirkendes, zufällig Zusammengefügtes, Menschen, Originale eben, die sich selbst spielten. So war dann auch unser Leben: der Versuch, etwas sehr Gegensätzliches zusammenzufügen. Auch das uns Fremde, bis dato Ungewohnte, ja Unschickliche zu leben. Wir wollten über unsere eigenen Grenzen hinaus; und sobald wir eine Begrenzung spürten, die uns von außen aufgezwungen wurde oder sich uns von innen aufdrängen wollte, arbeiteten wir an deren Demontage. »Zaunpfähle entfernen«, nannten wir es.
1974 war ich schwanger mit meinem vierten Kind. Ich hatte immer gewusst, dass ich vier Kinder haben würde, auf meiner Zeichnung aus dem Stillhouse von 1963 waren sie ja schon zu sehen gewesen. Ich hatte mich mit Josef Halevi, einem Maler jemenitischer Abstammung aus Israel, verbunden, der einwilligte, mit mir ein Kind zu zeugen. Oft vertrieb ich ja potenzielle Liebhaber bereits mit dem Geständnis meines Kinderwunsches. Doch Sofies Vater David und nun Josef hatten jeweils beglückt zugestimmt. Josef und mich verband eine kurze, unbeschwerte Liebe und eine Künstlerfreundschaft bis zu seinem Tod 2009. Unsere Tochter Esther trägt viel von ihm in sich.
Wie immer während meiner Schwangerschaften sprühte ich auch diesmal vor Elan, Energie und euphorischen Glücksempfindungen. Ich fühlte mich unantastbar, so, als schützten mich die in mir heranwachsenden Wesen vor jeglicher Erschütterung. Als ich mich gerade so sicher und aufgehoben fühlte, bekam ich eine Einladung der Universität in Austin, Texas, mich um die Leitung des Art Department zu bewerben. Es war in den USA üblich, erfolgreiche Künstler als Gastprofessoren in die Universitäten einzuladen. Sie sollten den Studenten das Künstlerdasein näherbringen, ihnen vermitteln, wie Künstler denken und arbeiten. Offenbar hatte John Cage den Leuten in Austin vom Lintgassenatelier in Köln und meinem Organisationstalent berichtet.
Ich begann im Geiste zu planen: Wenn man mir für diese Arbeit ein großes Gelände zur Verfügung stellen würde, dann könnte ich mit Studenten aller Fachrichtungen – Architektur, Schauspiel, Tanz, Musik, Bildhauerei und Malerei – eine Art Wohn-Kunst-Kultur-Utopie-Gebilde erbauen. Mir schwebte eine Wiederbelebung der Lintgassenidee von 1960 vor, auch die
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