Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
zuweilen in heikle Situationen. Mein Hang, mir die ganze Welt spirituell erklären zu wollen, und die Dynamik des Lebens in einer Quasikommune führten mich hier an meine Grenzen. Meinen beiden großen Kindern ist diese Zeit, milde ausgedrückt, in eher unerfreulicher Erinnerung. 1975 endete der Spuk. Ich wurde Schülerin des spirituellen Philosophen Frédéric Lionel, der in der Tradition der Pythagoräer stand. Nun war Disziplin oberstes Gebot, das Gegenteil des zuvor noch einmal ausprobierten Hippielebens. Von ihm lernte ich, dass man nicht nur die Umwelt zu gestalten hat, sondern vor allem an sich selbst wirklich arbeiten muss.
Spannend war, dass auch Doris zu den zehn Schülerinnen und Schülern gehörte, die Lionel ausgesucht hatte, um mit ihnen zu arbeiten. Und so bemühten wir uns gemeinsam viele Jahre lang, unsere »niedere Natur« zu überwinden. Das Leben mit Stockhausen war uns eine gute Basis für diesen Erkenntnisprozess gewesen. Wir hatten ja schon fleißig üben können, Besitzansprüche an einen geliebten Menschen aufzugeben, hatten gelernt, Hoffnungen, Erwartungen, Befürchtungen hinter uns zu lassen – schlicht alles, was unserem Dasein im Jetzt hinderlich sein würde.
Mit Lionel meditierte ich auch gemeinsam, um ein Symbol für die Figur des Michael aus Stockhausens Oper Licht zu finden – er hatte mich um ein prägnantes Zeichen dafür gebeten. Der Michael tritt oft in dreifacher Gestalt auf der Bühne auf, und diese Verdreifachung sollte durch die Kostüme klar erkennbar sein. So trugen wir nach innerer Schau die Zutaten zu diesem Sinnbild zusammen: ein Kreuz, aber ein kosmisches, nicht das Leidenskreuz. Kreise um einen Mittelpunkt, eine Art Kraftquelle. Ein aktiver Streiter als Erzengel. Und Pfeile, die für Gerichtetheit stehen, die Pfeilspitzen geformt wie Blütenknospen.
Ich zeichnete alles auf einen großen Karton, setzte Blau als Farbe ein und bat Brigitte Lindenbach, die Schneiderin, das Symbol auf ein Stück Stoff zu sticken. Dann brachte ich es Stockhausen, und er war glücklich mit meinem Entwurf. Das Symbol schmückte die Kostüme und wurde, seinem ausdrücklichen Wunsch folgend, später auch an seinem Grab angebracht, empfand er sich doch als Stellvertreter dieser Michaelsfigur. Er, der nicht mehr mit dem Schwert, nein, nie mehr im Kampf, sondern mit seiner Musik an einer neuen Weltordnung mitwirken wollte.
In dieser für mich wichtigen Phase der Sinnsuche schickte ich Stockhausen immer wieder Bücher, die ich gelesen hatte und über die wir uns dann austauschten, Bücher über Sirius, über das mythische Inselreich Atlantis, über den sagenhaften Kontinent Mu, über die Weiße Bruderschaft, über Außerirdische oder Wiedergeburt, ferner ein Buch über Primzahlen, über dessen Inhalt ich auch mit Suzanne Stephens korrespondierte, die inzwischen zu seiner Partnerin geworden war. Ich schickte ihm die Autobiographie eines Yogi von ParamahansaYogananda sowie ein Buch über den Seher Apollonios von Tyana, der sich hin- und hergerissen fühlte zwischen der Liebe zu einer Frau und seiner Aufgabe als Gottsuchender. Nach der Lektüre des Apollonios-Buches gestand Karlheinz mir, dass er manchmal auch geglaubt habe, es sei besser, asketisch zu leben wie Boulez. Doch er konnte es nicht und wollte es letztlich auch nicht.
Auch gab ich ihm Das Urantia Buch zurück, das uns 1971 im Lincoln Center in New York ein exotisch aussehender, in einen langen schwarzen Umhang gehüllter Mann überreicht hatte. Der Mann, Maatthews Kheaann Khristiaann, war trotz eisiger Temperaturen in Sandalen aufgetaucht und sah mit seinem langen Prophetenstab so aus, als käme er geradewegs aus dem Alten Testament. Ich nahm das Buch, das er uns schenken wollte, damals an mich, denn es interessierte Stockhausen nicht, und der Typ war ihm suspekt, gar unheim lich gewesen. Nun aber las er es begeistert, und die darin entwi ckelte Kosmologie wurde zu einer der Grundlagen für seine große Oper Licht und seinen unvollendeten Zyklus Klang .
Er war mir dankbar für alle Anregungen, und ich wollte ihn teilhaben lassen an meiner spirituellen Suche. Seit die körperliche Liebe nicht mehr zwischen uns war, wurde die seelische Zuneigung inniger und stärker. Noch Jahre nach unserer Trennung schrieb er mir Liebesbriefe. Für ihn hörte das Gefühl nicht einfach auf, es wurde eher noch tiefer. Einmal erreichte mich aus Afrika, wo er mit Julika und Simon im Urlaub war, ein Stück Hemd, auf das er mit Rotstift geschrieben hatte:
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