Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
in neue Erfindungen einfließen zu lassen. Wir fühlten uns wie auf einem Höhenflug! In den folgenden Jahren sollten immer wieder solche gemeinsamen Höhenflüge beim Austausch von Ideen zur Kunst die Basis – die wirkliche Basis – unserer Beziehung sein. Als Frau würde ich ersetzbar sein, und ich würde ihn als Mann an meiner Seite nicht mehr so nötig haben. Aber als Künstler waren wir einander unersetzlich.
Zurück in Köln, machte ich mich an die Planung der Ausstellung. Ich lieh mir von Doris und von Dieter Rosenkranz, einem Freund und Kunstsammler, Geld für große Leinwände und Material. Es war meine erste Einzelausstellung. In Deutschland hatte man mich bisher als Künstlerin kaum wahrgenommen beziehungsweise das, was ich gestaltete, nicht als Kunst durchgehen lassen. Die deutschen Kritiker konnten mich nicht einordnen. Hier hatte ich nun die Chance, alles, was mir vorschwebte, zusammenzuführen, es so zu präsentieren, dass es als authentisches Werk verständlich werden konnte, ganz unabhängig davon, ob es nun als Kunst anerkannt werden würde oder nicht.
Es wurde Januar 1962. Stockhausen begann mit der Komposition seines Werks Momente , das im Mai im WDR zur Uraufführung gebracht werden sollte. Er war von Baron Francesco Agnello eingeladen worden, sich für die Zeit der Komposition in dessen Palazzo in Siculiana an der Südküste Siziliens zurückzuziehen. Agnello war ein glühender Anhänger moderner Musik. Er selbst lebte in Palermo und leitete dort die »Woche für Neue Musik«. Wir vereinbarten, dass Stockhausen nach Sizilien fahren sollte, ich würde eine Woche später nachkommen, um im Palazzo die Ausstellung vorzubereiten. Mein Material musste ich noch verpacken, es ging als Frachtgut mit dem Zug. Doris sollte im März nachkommen und bis Mai mit uns in Siculiana bleiben. Bis dahin wollte sie jemanden finden, der sich zwei Monate lang um die Kinder kümmerte.
So zogen wir also zu Agnello in den ein wenig vernachlässigten Palazzo. Wir arbeiteten den ganzen Winter über wie verrückt, Stockhausen an der Partitur der Momente , ich an der Ausstellung. Der Palazzo war eiskalt, er war eigentlich nur eine Sommerresidenz. Den offenen Kamin im großen Salon benutzten wir nicht, man hätte Holz herbeischaffen müssen, und das war uns zu umständlich. Wir zogen uns in das kleinste Zimmer zurück, das man noch am leichtesten mit einem Gasofen beheizen konnte, und arbeiteten auf engstem Raum mit einem Klavier und zwei Tischen.
Von meiner österreichischen Mutter und meiner italienischen Großmutter habe ich die Liebe zum Gesang geerbt, und so summte und sang ich auch beim Arbeiten ständig vor mich hin. Meine Gesänge waren gefärbt von außereuropäischer Musik, vor allem aus Afrika und Asien. Ich besaß eine Serie ethnografischer Schallplatten aus der Unesco Collection , die mich stark beeinflusste. Karlheinz griff dann aus meinem Gesang Zitate auf und schrieb sie in die Partitur. Angeregt durch meinen Vater, hatte ich auch Einblick genommen in seine anthropologischen Bücher, unter anderem The Sexual Life of Savages von Bronislaw Malinowski, das ich im Gepäck hatte. Er übernahm daraus einige Liebeslieder, die dann ebenfalls in der Partitur landeten, wie zum Beispiel »Kala Kasesam Bau«.
Die Momente sind also, wie Karlheinz es einmal ausdrückte, eigentlich ein Porträt von mir. Es kommen darin drei verschie dene Momentcharaktere vor: ein K-Moment ist Klang, ein M-Moment ist Melodie, ein D-Moment ist Dauer. Die einzelnen in sich geschlossenen Momente werden geöffnet und weitere entstehen aus deren Zusammenspiel. Etwas Eigenes, Selbständiges wird musikalisch hörbar gemacht. Danach beginnt eine Art Verknüpfung. Alles kommt zusammen und durchdringt sich gegenseitig. Jeder der individuellen Momente sondert zum Beispiel einen »Setzling« ab, der als Ableger ein Eigenleben entwickelt, also auf Wanderschaft geht und sich den anderen Momenten als Einschub anbietet. Der Dirigent entscheidet vor der Aufführung über die Reihenfolge der Momente und Einschübe gemäß vorgegebenen Regeln.
Die Buchstaben K, M und D stehen nicht nur für Klang, Melodie und Dauer, sondern auch für Karlheinz, Mary und Doris. In einer ménage à trois ist, wenn man sich zu zweit austauscht, der Dritte immer auch anwesend, ob persönlich, als Erinnerung, als Sehnsucht oder als Schuldgefühl. Das entspricht den Einschüben in der Partitur. Wenn beispielsweise K und M beisammen sind, kommt D als Einschub. Eine
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