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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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nach Deutschland, schickten von dort Geld nach Hause. Es wurden Waschmaschinen gekauft, die ersten Fernsehantennen auf den Dächern montiert. Zu Beginn der Fünfzigerjahre war es im Zug einer Bodenreform zu einer Aufteilung von Großgrundbesitz in kleinere Parzellen gekommen. Die Contadini waren selbständig geworden, jedem war ein Stück Land zugewiesen worden, das er bewirtschaften konnte. Doch schon bald sahen sich viele frischgebackene Kleinbesitzer genötigt, ihren Grund wieder aufzugeben, denn für den Anbau von Getreide – das vorherrschende Agrarprodukt Siziliens – brauchte es größere Felder, um guten Ertrag zu erzielen. Zudem gab es ja nun keine gemeinsame Infrastruktur für Verkauf und Transport mehr. Die Bauern konnten ihrem vom Staat zugeteilten Streifen Land keinen Gewinn abringen. Wer sollte die Pomodori, die Tomaten, das Einzige, was sie überall selbst anbauen konnten, zum nächsten Markt bringen? Der Esel? Und wohin mit all den Pomodori, wenn alle anderen sie auch anpflanzten? Um Wein anzubauen, brauchte man ohnehin mehr als nur ein Stückchen Land, und so zerfielen auch die Weinanbaugebiete.
    Die großen Güter waren schon zuvor zerfallen, als die Contadini selbständig geworden waren und nicht mehr in einer Hofgemeinschaft mit den Herrschaften lebten. Die Herrschaften wiederum waren ohne Diener nicht in der Lage oder Laune, das Ganze neu zu organisieren. Alles, was Rang und Namen hatte, verschwand in die Großstadt. Die Mafia ersteigerte die Grundstücke von den Bauern, baute Hotels, der Tourismus blühte auf, und die Geheimgesellschaft – einst mit dem hehren Gedanken der Umverteilung zwischen Arm und Reich von Salvatore Giuliano, dem Robin Hood Siziliens, ins Leben gerufen – verlor ihren Ruf als soziale Bewegung zum Schutz der Armen.
    Es ging nicht mehr wie anfangs um die Unabhängigkeit von Rom, auch nicht mehr nur um die Versorgung der Unterprivilegierten. Die zunehmenden kriminellen Akte konnte man nicht mehr als Abenteuerstreiche wegstecken. Die Bosse nahmen Großunternehmerattitüden an. Inzwischen war es üblich geworden, dass man in jedem Dorf zu allen Unternehmungen den Segen dreier Personen brauchte, die stets ehrfürchtig zu grüßen waren: der Bürgermeister, der Pfarrer und der Mafiaboss.
    Francesco Agnello, der Baron, der uns die erste Zeit fast wöchentlich im Palazzo besuchte, wusste immer alte und neue Mafiageschichten zu erzählen. Seine eigene Lebensgeschichte war auch eng damit verknüpft. In den Fünfzigerjahren war eines Tages eine Horde Mafiabanditen in den ummauerten Innenhof des Gutes seines Vaters eingeritten. Die Männer riefen alle Bewohner zusammen und befahlen ihnen, mit erhobenen Händen und dem Gesicht zur Wand Aufstellung zu nehmen. Auf die Frage »Wer ist Francesco Agnello?« drehten sich ihm von rechts und links die Köpfe zu. Er hatte noch geglaubt, ein Ausweg sei, den Kopf auch suchend nach rechts und links zu drehen, um von sich abzulenken, doch dort standen nur eine Frau und ein alter Mann. Also auf ihn hatten sie es abgesehen. Sie schnürten ihn aufs Pferd und galoppierten davon.
    Es wurde eine Riesensumme Lösegeld gefordert. Seine Eltern weigerten sich zu zahlen, verhandelten aber trotzdem und schalteten zugleich die Polizei ein. Mehrere Treffen platzten. Die Polizei kreiste das verdächtige Gebiet ein und beobachtete alles, was vor sich ging. Es fiel auf, dass jeden Abend zwei Männer mit Milchkannen aus einem Dorf verschwanden, am nächsten Morgen aber zwei andere mit Milchkannen wieder zurückkehrten. So konnten sie schließlich ein Versteck ausmachen, eine hinter Büschen verborgene Zisterne, wo man Francesco nun schon sechs Wochen lang gefangen gehalten und mit dem Inhalt der Milchkannen notdürftig versorgt hatte.
    In seiner Wut auf die Eltern, die das Lösegeld nicht bezahlten, hatte sich Francesco mittlerweile mit seinen Wächtern verbrüdert; er spielte mit ihnen Karten, hörte sich ihre Sorgen an und verstand schließlich ihr Elend und ihre Auflehnung gegen das Feudalsystem. So kam es, dass bei der Befreiungsaktion die Wächter ihr Opfer nicht erschossen, was eigentlich die übliche Lösung war. Man hätte ja die Aufdeckung der Organisation befürchten müssen, da Francesco sechs Wochen lang die Gesichter seiner wechselnden Bewacher studiert hatte. Doch sie schossen nicht.
    Alle wurden aus der Zisterne nach oben befördert. Francesco konnte nicht mehr gehen, die feuchte Kälte hatte ihm zugesetzt. Das grelle Tageslicht schmerzte seine

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