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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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überblickte den Schreibtisch und erkannte in der Gestik der Notation eine schnelle, spontane Niederschrift des offenbar innerlich Gehörten. Er fragte Rainio, ob er keinen Radiergummi benutze. Der antwortete: »Rradiergummi, nein, mein Rradiergummi ist das Feuerr.« Er zeigte auf den Kamin, in dem wir einige zerknüllte Papiere liegen sahen. Wenn er sich verrenne, fange er wieder von vorne an. Also ins Feuer mit dem Verworfenen. Wie anders war dagegen Stockhausens Arbeitsweise. Er entwarf stets zahlreiche Pläne, stellte Berechnungen an, skizzierte Vorgaben. Sein Schreibtisch war voller Radiergummikrümel. Julika, unsere gemeinsame Tochter, die 1966 geboren werden sollte, hat diese Vorliebe für das Radieren geerbt. Als kleines Mädchen saß sie einmal vor einem Blatt Papier, das sie vollgekritzelt hatte, und radierte alles fleißig wieder aus. Auf Stockhausens Frage, was sie da mache, gab sie stolz zur Antwort: »Ich komponiere.«
    Wir verließen Finnland. Und während meines Zwischenaufenthalts in Fehmarn komponierte auch ich, allerdings malerisch, denn ich arbeitete an einem Pünktchenbild. So nannte ich meine streng reduzierten Bilder mit einer oder höchstens zwei Farben und Farbstimmungen in unzähligen Varianten verschiedener Größe, Dicke und Helligkeit, mit minutiöser Technik hergestellt. Erst aufgekleckert, dann auf diese spontan entstandenen Kleckse reagierend, sie aufbauend, umspielend, variierend. Max Bill hatte diese Arbeiten sehr gemocht. Er hatte für sie einen Begriff aus der abstrakten, informellen Kunst weiterentwickelt – »Tachismus« vom französischen Wort tache für Fleck – und bezeichnete meine Arbeiten als »konstruktiven Tachismus«.
    In einem finnischen Sägewerk hatte ich zwei Balkenstücke entdeckt, die, mit Sägeeinschnitten versehen, mich so faszinierten, dass ich beschloss, sie mit nach Hause zu nehmen. Als ich nun mit diesen beiden Balken im Gepäck zum Schiff nach Fehmarn unterwegs war, reagierte Stockhausen leicht verärgert – wie immer, wenn ich »Materie«, wie er es nannte, mit mir herumschleppte. Doch einer der Balken sollte es später noch zu Erfolg bringen. Ich verwendete ihn 1966 bei einer Ausstellung in meiner Galerie in New York, die durch ihren Titel Maximum 12 x 20 vorgab, dass die Ausstellungsstücke eine Größe von zwölf mal zwanzig Zoll nicht überschreiten durften. Ich montierte meinen Balken so an die Wand, dass er ungefähr eineinhalb Meter weit in den Galerieraum ragte. Im Querschnitt erfüllte er die Maßvorgabe, und die dritte Dimension, die Tiefe, war ja nicht festgelegt wor den. Seitlich hatte ich den provokanten Titel What about this dimension? auf den Balken aufgemalt. So unterwanderte ich mit meinem Beitrag die Erwartung des Galeristen, kleine und daher leicht verkäufliche Werke zu bekommen – fürs daily public , fürs Laufpublikum, würde man bei uns sagen, oder für Kunstliebhaber mit kleiner Börse. Mein Werk eignete sich ganz und gar nicht zum leichten Verkauf, brachte aber eine exzellente Kritik ein.
    Aus Finnland kehrten wir – wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten – mit einer fertigen Partitur der Originale zurück nach Köln. Das Stück war eine Synthese aus Stockhausens streng durchstrukturierter Kompositionsmethode und allem, was in meinem Atelier stattgefunden hatte an Spontanem, Anarchischem, spielerisch Experimentellem, auf jeden Fall Unvorhersehbarem. Ausgewählte Persönlichkeiten, eben Kölner »Originale«, sollten sich darin selbst darstellen, während Stockhausen ihre Einsätze und Lautstärke dirigierte. Unter den Mitwirkenden waren bekannte Theaterschauspieler sowie Regisseur, Kameramann, Tontechniker und Beleuchter, die sich selbst spielten. Es gab eine Modedame, einen Straßensänger mit Hund, eine Zeitungsverkäuferin, eine Garderobenfrau, einen Affen samt Wärterin vom Kölner Zoo und ein Kind, das im Wechsel von Stockhausens Sohn Markus und seiner Tochter Christel dargestellt wurde. Er selbst trat als Dirigent und Komponist auf, Hans G Helms als Dichter, David Tudor als Pianist und Christoph Caskel als Schlagzeuger.
    Ich verkörperte die Malerin und bot verschiedene Aktionen dar, bespritzte Leinwände mit fluoreszierenden Farben und drehte sie dann im rechten Winkel, so dass die nächsten Farbspritzer in die ersten flossen. Diese verwässerte Horizontal-Vertikal-Struktur verwischte ich anschließend mit einem Schwamm. Ich erzeugte auch metallische Klänge, indem ich rostige Nägel und mit bunten Federn

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