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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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Musikern über Lautsprecher zu hören sein. Es ging alles sehr schnell. Sandberg zückte seinen Terminkalender und schlug uns den 2. Juni als Eröffnungstermin vor. Zu diesem Anlass wurde auch ein Livekonzert geplant: elektronische Musik zusammen mit Instrumentalisten. Christoph Caskel und Aloys Kontarsky würden spielen, und zwar die Werke Zyklus , Kontakte und Klavierstück IX . Stockhausen würde das Reglerpult bedienen.
    Dann zeigte uns Sandberg den großen Saal, den er »Ehrensaal« nannte. Ich war eingeschüchtert von der Größe des Raumes, hatte ich doch bisher immer nur kleinere Bilder und Objekte hergestellt. Wie sollten meine Miniaturzeichnungen hier bestehen? Doch schnell kamen mir verschiedene Ideen. Ich war so glücklich darüber, diesen prächtigen Saal visuell gestalten zu dürfen, dass mir gleich einiges einfiel. Auf der Heimfahrt waren Stockhausen und ich voller Euphorie; wir tauschten angeregt und aufgeregt unsere Vorstellungen aus. Ich wollte nicht nur Einzelbilder nebeneinanderhängen, sondern Verbindungen von einem Werk zum nächsten schaffen. Ich wollte Entwicklungen zeigen mit Übergängen von einem Material zum anderen, von künstlich Hergestelltem zu Gefundenem. Ich würde Extreme darstellen, auch graduelle Übergänge von winzig zu riesig, also vieles von dem, was ich in der Malerischen Konzeption angedacht hatte, zur Verwirklichung bringen.
    Stockhausen plante mit, war ebenfalls beglückt über den großen Saal – er hatte durch Klatschen und Singen die Akustik bereits getestet und für gut befunden. Die Vorstellung, während vieler Wochen dort im Museum der elektronischen Musik Gehör zu verschaffen, beseelte ihn. Sie befand sich ja noch am Anfang, war in den Konzertsälen noch nicht so akzeptiert, wie die Pioniere dieser Musik es sich gewünscht hätten. Problematisch für das Konzertpublikum war, dass auf der Bühne nichts Sicht bares mehr passierte. Man lauschte den Lautsprechern, sah aber keine Musiker und keinen Dirigenten, hörte kein feierliches Sicheinstimmen des Orchesters. Das irritierte. Oft empfahl Stockhausen den Zuhörern, die Augen zu schließen.
    Nun, im kommenden Jahr würden wir es ausprobieren. Mit optisch Sichtbarem an den Wänden und genügend Bänken zum Sitzen könnte vielleicht eine ganz andere Aufnahmefähigkeit bei den Zuhörern erreicht werden. Zudem erschlossen wir uns neue Publikumsschichten: konzertbesuchende Kunstliebhaber und museumsbesuchende Musikliebhaber. Was für eine Chance!
    Dazu dieser wunderbare Mensch Sandberg, der einzige Überlebende einer Widerstandsgruppe gegen die Nationalsozialisten. Während der deutschen Besatzung vernichteten sie die im Amsterdamer Ordnungsamt deponierten Listen der Einwohner, damit man nicht deren Religionszugehörigkeit feststellen konnte. Es ging darum, die Juden zu schützen. Sandberg kam mit einer Gefängnisstrafe davon, seine Mitstreiter wurden jedoch alle zum Tode verurteilt. Und dieser Mann gab nun uns beiden jungen Deutschen so eine Möglichkeit! Wir wollten unser Bestes versuchen, waren ja auch fest davon überzeugt, dass Kunst eine gesellschaftliche Wirkung haben sollte. Eine bessere und friedlichere Welt schwebte uns vor – daran wollten wir arbeiten.
    Auf unserem Rückweg fuhren wir über Landstraßen und durch die Dörfer. Wir wollten gar nicht so schnell heim nach Köln und ließen uns Zeit. Oft hielten wir an und notierten unsere Einfälle und Gedanken. Als wir in einem Dorfcafé saßen, entdeckte ich gegenüber in einem Antiquitätenladen einige Holzkästen mit optischen Glaslinsen in allen möglichen Brennschärfen. Sie faszinierten mich auf Anhieb, und ich kaufte mindestens zwanzig dieser Kästen auf, so viele wir eben ins Auto packen konnten – mein ganzes Honorar für das Bühnenbild der Dreigroschenoper ging dabei drauf.
    In der Folge fing meine Spielerei mit diesem neuen Material an: Vergrößerung, Verkleinerung, Verzerrung. Ich begann, mit Lupen und Linsen zu experimentieren, die in meine späte ren Linsenkästen eingebaut werden sollten. Wenn man mit ei ner konvexen Linse in einem ganz bestimmten Abstand über einen schwarz-weißen Text fuhr, umrandeten sich an der Grenze von Schwarz zu Weiß die Buchstaben mit Spektralfarben! Atemlos beobachtete ich diese Entdeckung. Ich fühlte mich an Faust II erinnert, wo Goethe seinen Faust sagen lässt: »Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.« Ja, es ging um Licht!
    Stockhausen trug Gedanken zu Entdeckung und Erfindung bei. Es galt, das Entdeckte

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