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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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Selbstmorden kam. So auch bei Emilio del Junco, der daheim in Kanada seine Frau und sechs Kinder trostlos zurückließ. Für sie war New York seitdem nur noch ein wahres Sodom und Gomorra. Emilio hatte übrigens als Teilhaber zusammen mit Alfredo Bonino 1963 dessen New Yorker Galerie in der kunstträchtigen 57. Straße gegründet, die bald alljährlich meine Bilder und Objekte ausstellen sollte und zum Schauplatz meines wachsenden künstlerischen Erfolgs wurde.

8
Auguri
    Im Herbst 1963 reisten Stockhausen und ich erneut zusammen nach Sizilien. Anfang Oktober sollte in der »Woche für Neue Musik« in Palermo eine erweiterte Fassung der Momente aufgeführt werden, und vor Beginn der Proben verbrachten wir eine Urlaubswoche im Palazzo Agnello im Süden der Insel.
    Bereits bei meinem früheren Aufenthalt dort im Winter 1961/62 hatte ich ein für meine Arbeit wichtiges neues Material entdeckt: Mir waren die vielen geflickten Bettlaken auf den Wäscheleinen der sizilianischen Bäuerinnen aufgefallen. Diese Leintücher waren unzählige Male durch das Aufnähen größerer oder kleinerer Tuchteile repariert worden, und das unregelmäßige Flickenmuster, das sich im durchscheinenden Sonnenlicht nun in verschiedenen Helligkeitsgraden abzeichnete, hatte mich sofort begeistert. Ich entdeckte in den Flickentüchern dieser südeuropäischen Lebenswelt eine unglaubliche Zufallsästhetik. Für die Sizilianerinnen waren das nur alte, schadhafte Leintücher, mir dagegen kam der Einfall, daraus durch kleine Eingriffe und Änderungen Kunstwerke zu gestalten. Daher beschloss ich nun, den Bäuerinnen die Laken, aber auch ähnlich geflickte Hemden und Hosen, in größeren Mengen abzukaufen.
    Ich hatte den Frauen einen Tag genannt, an dem sie mir all ihr Flickwerk in einen Schlosshof oben auf dem Siculianaberg bringen konnten. Ich würde pro Stück tausend Lire bezahlen – damals etwa sieben Mark – und ihnen obendrein ein neues, heiles Tuch dazugeben. Für besonders große oder alte Laken gab ich auch schon einmal zweitausend Lire. Vom Palazzo aus konnte man in die Sträßchen und Gassen hinabblicken, die auf das Schloss zuführten, und schon sah ich die schwarzgekleideten Frauen wie Krähenschwärme herbeiströmen.
    Alt sollten die Tücher sein, zerschlissen und handgeflickt. Manche waren aber jetzt auf die List verfallen, einfach auf heile Tücher irgendwelche Flicken aufzunähen. Ich war für sie die donna pazza , die verrückte Frau, die alte Fetzen kaufte. Da ich aber nur »echt« Geflicktes erwerben wollte, wo unter dem Flicken auch tatsächlich ein Loch oder Riss gewesen war, nahm ich die fingierten Stücke nicht an.
    Dabei mag mir eine Ungerechtigkeit bei der Beurteilung des einen oder anderen Lakens unterlaufen sein. Jedenfalls weckten uns anderntags sehr früh zwei Frauen, die schreiend und gestikulierend zwischen Stockhausens und meinem Bett standen und, dabei offensichtlich auch noch miteinander streitend, bei uns etwas reklamieren wollten. Die Baronin, von dem Lärm herbeigelockt, verscheuchte die beiden, indem sie einfach in die Hände klatschte und zur Tür deutete. Husch, husch – weg waren sie. Das alte Feudalsystem schien hier im Süden doch noch zu funktionieren.
    Stockhausens Nerven wurden freilich wieder einmal auf eine harte Probe gestellt. Er war natürlich nicht angetan von dem Geruch nach Stall und Esel der etwa hundert gesammelten Lumpen, die ich unter meinem Bett verstaut hatte. Ich dagegen war glücklich über meine Ausbeute und schickte sie als Frachtgut nach Köln. Aus den Tüchern sollten bald einige meiner wichtigsten Kunstwerke entstehen.
    Wir hatten vor den Momente -Proben in Palermo noch ein wenig Kraft tanken wollen und fuhren eines Tages mit Mimmo, einem Freund von Agnello, der zu Besuch gekommen war, seiner Freundin und deren achtjährigem Sohn zu einem Strand etwas weiter östlich. Der Junge hatte ein Schlauchboot bekommen, das ausprobiert werden sollte. An diesem Strand gab es keine Steine, die ich als Material für meine Werke hätte aufsammeln können, also döste ich im Sand wie die anderen. Plötzlich ertönte Geschrei, der Kleine rief um Hilfe, ein Paddel war ihm ins Wasser gefallen und weggetrieben. Wir stürzten uns alle ins Wasser, erreichten das abtreibende Boot und konnten den Jungen beruhigen. Da wurde die Mutter von einer Strömung erfasst, und wieder gab es laute Hilfeschreie. Ich schwamm zu ihr, konnte sie mit viel Mühe zum Schlauchboot zurückziehen und sie mit dem Seil, das

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