Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Nähen, es waren »nutzlose Nadeln«. Jahrzehnte noch wurden diese Nähbilder von der Kritik als Handarbeit und Frauenbastelei abgetan und keineswegs als Kunst akzeptiert. Erst als männliche Künstler wie zum Beispiel Michael Buthe auch mit so fragilen Stoffen arbeiteten, nannte man es »die neue Sensibilität«.
Am Ende der Woche war es fertiggestellt, das Tuch. Dann reiste Doris an, um mit uns zur Uraufführung in Donaueschingen zu fahren, und wir konnten die Geheimnistuerei sein lassen. Später im Herbst flog ich zurück nach New York – es war der 22. November 1963, der Tag, an dem John F. Kennedy erschossen wurde. Ganz Amerika war in Aufruhr, aber für mich hieß es nun, meinen Anteil an der Gruppenausstellung bei Bonino vorzubereiten – schließlich sollten dort fünf größere Werke und etliche Zeichnungen von mir gezeigt werden. Zu Weihnachten eröffnet, bewirkte diese Schau dann tatsächlich meinen Durchbruch oder war zumindest die Ouvertüre dazu. Am 29. Dezember war in der New York Times zu lesen:
»Sehr gute Kunst und sehr schlechte Kunst lassen das Schreiben darüber absurd werden. Mary Bauermeister ist besser als sehr gut; ich wünschte, ich könnte es dabei belassen. Aber das geht nicht, denn gleich kommt die Frage: ›Wer ist Mary Bauermeister?‹ Eine gute Frage, da man hier noch nie von ihr gehört hat, von einem Geflüster unter Museumsleitern abgesehen … Alle ihre Werke zeugen von brillanter Einbildungskraft, die überall in Bewegung ist, die krabbelt, kritzelt, hüpft und im Sprung zupackt … Die Künstlerin macht wundervolle Dinge aus geglätteten Steinen, aus Bataillonen aufrecht stehender Strohhalme, aus hohlen Knochen und flachen Steinen, wobei alles mit einer ebenen Bildfläche anfängt, auf die man sich vage beziehen könnte, die Elemente aber kümmern sich wenig um sie, indem sie sich daraus hinausarbeiten. Ihre beste Arbeit ist ein etwa 2,4 Meter hoher leinener, von innen beleuchteter und von vorn wie von hinten faszinierender Wandschirm mit einer runden, darin eingenähten Papiertüre, der mit fein sich dahinziehenden Bändern bekränzt ist, belebt von winzigen geschriebenen Botschaften, einer Art surrealistischer Landkarte von Moralsätzen, Vorschriften, Meinungen und auf Dada-Art ›Ja – Nein‹-gemusterten Versen. Da besteht eine entfernte, moderne Verwandtschaft zu Marcel Duchamps gläserner ›Bride Stripped Bare‹, mit der gleichen hervorragenden Sorgfalt, die sich etwas leicht Vergänglichem widmet … Es wird interessant sein zu beobachten, ob sie die Intelligenz und Schläue besitzt, um mit dem großen Erfolg fertig zu werden, der ihr offensichtlich bevorsteht.«
Brian O’Doherty, der Kritiker, der das geschrieben hatte, war, wie ich dann feststellen konnte, selbst ein interessanter Künstler. Ich habe ihm 1964 eine große Arbeit von mir gewidmet, in der ich den letzten Satz seiner vorjährigen Ausstellungsbesprechung als Ausgangsthema benutzte. Das Bild stellte somit eine Art fortgesetzten Dialog über Kunstkritik dar.
In dieser ersten Einzelausstellung in New York stellte ich viele in Europa entstandene Bilder zusammen mit meinen ersten Linsenkästen, Lichtskulpturen und gefundenen Objekten aus. Der bildende Künstler Claes Oldenburg kommentierte anerkennend: »Da versuche ich, für jede Ausstellung nur ein Thema zu wählen, aber das dann gründlich zu variieren, und da kommt diese Mary, füllt drei Räume, das Treppenhaus und die Gänge mit unzählig vielem, das nichts miteinander zu tun hat – und es funktioniert!«
9
Amerika – Licht und Schatten
Zu Beginn des Jahres 1964 trat Stockhausen eine sechsmonatige Gastprofessur an der University of Pennsylvania in Philadelphia an. Als radikaler Neuerer in der Musik war er in Amerika schon länger bekannt und geschätzt, man hatte sich dort schon seit der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre mit ihm und seinen neuen elektronischen Klangwelten befasst, auch seine Kompositionen gespielt. Zusammen mit Luigi Nono und Pierre Boulez stellte er für Kenner und Liebhaber die Avantgarde der modernen Musik in Europa dar.
So konnten wir uns auf eine längere gemeinsame Zeit in den USA freuen. Vor Beginn der Kurse in Philadelphia war noch eine ausgedehnte Konzerttournee durch Nordamerika angesetzt worden, bei der ich Stockhausen begleitete. Christoph Caskel, David Tudor und Max Neuhaus waren mit von der Par tie. Vorbereitet worden war die Tour von Judith Blinken, die auch Cages Konzerte organisierte, übrigens ohne jede
Weitere Kostenlose Bücher