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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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eine Vollendung seiner Idee der Mail Art gewesen . Er hatte sich selbst zuvor einen Brief geschrieben mit dem Text: »Wenn Dich dieser Brief erreicht, wirst Du tot sein.« Sein Atelier war zu diesem Zeitpunkt leer, er hatte alle Werke in Kisten und Schachteln verpackt und sie von verschiedenen Postämtern auf Long Island aus an alle möglichen Adressen verschickt.
    Die Szene am Strand von Fire Island war so intensiv, so apokalyptisch, ich hätte sterben mögen mit diesem Gefühl und in dieser Stimmung. Erst nach langer Zeit kamen die anderen zurück und fanden uns immer noch verklärt am Klavier sitzend. Am Ende unseres Besuchs auf der Insel trennten wir uns schweigend. Allen war das Besondere dieses Tages unter die Haut gegangen. Ich fragte mich nur, wieso ich solche Empfindungen in der Gesellschaft eines Menschen haben konnte, der mir doch gar nicht so besonders nahestand. Doch dann merkte ich, dass es nur mit mir selber zu tun hatte.
    Musste ich für mich sein, um in die Tiefe zu gelangen? Musste ich Stockhausen verlassen, um bei mir zu bleiben? Brauchte ich eine totale Bindungslosigkeit? Brauchte er sie nicht auch? Jetzt kamen meine Gedanken der Untreue. Ja, ich wurde ihm untreu. Nicht mit einem anderen Menschen, sondern mit mir selber. Noch am selben Abend wollte ich Karlheinz schreiben, ihm eine Trennung vorschlagen. Doch war diese Trennung nicht schon geschehen, vor vielen Monaten, eigentlich schon nach der Nacht auf dem Balkon am Central Park?
    Der Brief erreichte Stockhausen nie. Er musste aber trotzdem meinen Willen zur Aufhebung unserer Beziehung gespürt haben, denn er kündigte mir einen Blitzbesuch an. Ich hatte inzwischen mein Atelier im National Arts Club aufgeben müssen, da ich das Geld für die Miete nicht mehr aufbringen konnte. Ich war, versehen mit einem Stipendium, als eine von zehn Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt an der International Summer Academy der Fairleigh Dickinson University in New Jersey gelandet, wo ich freie Kost und Logis erhielt sowie Material und zwei Schreiner gestellt bekam. Stockhausen kam nun auch dorthin. Ich holte ihn am Flughafen ab, und wieder standen wir uns gegenüber, wieder dieses lange, stumme Versinken ineinander. Dann brach es aus ihm heraus: »Ich will nie mehr ohne dich leben wollen oder müssen, koste es, was es wolle.« Ohne mich könne er auch mit Doris nicht mehr leben. Das war immerhin eine Art Bekenntnis zu mir.
    Es folgten sehr aktive Tage auf dem Campus. Ich hielt dort Malkurse ab und erarbeitete meinen Beitrag zur Ausstellung der Stipendiaten, die danach im Sommer 1963 im Riverside Art Museum in New York gezeigt wurde. Stockhausen hielt Vorträge und gab in der Aula der Universität ein Konzert mit der elektronischen Fassung der Kontakte . Ich hatte ihm viel zu berichten, denn in den vorausgegangenen Monaten war ich immer wieder als Vermittlerin und Botin für ihn unterwegs gewesen: zu Leonard Bernstein, seinem Assistenten William Weissel, zu dem Dirigenten Mr. Weisberg und zu Judith Blinken, einer Musikliebhaberin, der ich geholfen hatte, für das kommende Jahr eine Stockhausen-Tournee durch die USA zu organisieren. Partituren, Auszüge daraus, Texte fürs Programmheft, Tonbänder waren hin und her zu befördern, Termine abzugleichen. Das konnte ich von New York aus besser erledigen. Stockhausen hatte mir viel Material dagelassen und weiteres aus Europa geschickt. Vom Campus aus hatte ich auch seinen Verlag in Wien angerufen und auf Fehler in einer Partitur aufmerksam gemacht. »Sie haben unsere Sache gerettet, morgen wären die Noten in Druck gegangen«, bedankte man sich dafür. Endlich hatte ich mich wieder einmal nützlich machen können für Stockhausen und sein Werk.
    Diese Zeit, nur eine Woche, verband uns wieder sehr. Wir »tankten beide auf«; das wurde bald zu einer stehenden Redewendung zwischen uns, denn in den kommenden Jahren würden wir oft getrennt sein. Bei seinen Aufenthalten in den USA stellte ich ihm dann auch die Künstler vor, die ich inzwischen kennengelernt hatte. »Du musst das erleben, was hier im Gange ist«, sagte ich immer wieder. »Du kannst nicht nur in Europa bleiben. Hier geschieht etwas ganz Wichtiges.«
    Einmal besuchten wir in New York zum Beispiel das Loft, in dem La Monte Young mit der Lichtkünstlerin und Malerin Marian Zazeela zusammenlebte und arbeitete. Die beiden spielten uns eine Stunde lang etwas vor, es war ein wunderbarer Austausch. La Montes Klangwelt war stark von der klassischen indischen

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