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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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komplizierte und doch wieder einfache Sache. Stimmungen seien es – es gebe Morgen-Ragas, Abend-Ragas, Tages-Ragas, auch Ragas zu allen möglichen Anlässen. Die »Tonart« ergebe sich eben aus dem Anlass, zu dem gespielt wurde.
    Stockhausen hatte immer auf diese Weise geforscht. Bei allen Reisen in fremde Länder befragte er die Musiker und studierte ihre Instrumente. Wie faszinierte ihn zum Beispiel die japanische Bambusflöte Shakuhachi! Schon die Namen und dann die Gestalt der Instrumente, die Materialien, die Saiten – immer schwang gleich etwas in ihm mit, immer nahm er etwas davon in seine eigene Klangwelt hinüber. Etwas Ähnliches tat auch ich, nur eben auf bildnerische Weise. Oft tauschten wir uns dann nochmals darüber aus und fragten uns gegenseitig: »Wie würdest du das übersetzen?«
    Auf unserer Heimfahrt besuchten wir noch eine ganze Reihe anderer Länder und Städte wenigstens kurz, meist wiederum verbunden mit Auftritten Stockhausens in dortigen Goethe-Instituten: Hongkong, Kambodscha, Thailand, Iran und Syrien. Die Beschreibung unserer Erlebnisse würde leicht ein Buch für sich füllen, aber musikalisch waren sie nicht mehr von so großer Bedeutung für ihn, auch wenn er sich im Iran zum Beispiel über die hier übliche dreizehnstufige »Oktave« wunderte. Aber überall sogen wir das uns Fremdartige der Melodien in uns auf und nahmen es mit nach Hause.

12
Da capo: Trennung und Bindung
    Aus Asien zurückgekehrt, holte ich im Mai 1966 unsere Tochter Julika mit dem Zug bei meiner Mutter in Deisenhofen ab. Karlheinz erwartete mich am Kölner Hauptbahnhof, wo er mir die Tragetasche mit unserem Kind abnahm und sie behutsam zum Auto trug. Er sah Jule ja zum ersten Mal und erkannte sich sogleich in ihr: die großen Augen, die energischen Armbewegungen, die Furche zwischen den Augenbrauen, die sie schon als Baby hatte.
    Zurück in unserem Kürtener Haus, versuchten wir, uns an einen neuen Alltag zu gewöhnen. Doris und die Kinder ka men nun wieder jedes Wochenende zu Besuch, ich versorgte den Haushalt und das Baby. Stockhausen vertiefte seine Idee einer völkerverbindenden »Musiksprache«, komponierte an Hymnen und fuhr oft ins Elektronische Studio. Obwohl ich mich bemühte, alles unter einen Hut zu bekommen, war es schwierig, einen gemeinsamen Tagesablauf zu gestalten. Karlheinz war es gewohnt, bis spät in die Nacht zu arbeiten, und wollte dann in der Frühe seine Ruhe haben, was mit dem Baby natürlich nicht so einfach war. Konzertreisen unternahm er jetzt ohne mich. Er sah ein, dass Jule mich erst einmal eine Zeit für sich brauchte, auch einen festen Ort, um sich sicher zu fühlen.
    Im September bat er mich dann aber doch, ihm nach Paris zu folgen, wo er gerade eine ihn tief bewegende Woche mit Pierre Boulez verbracht hatte. Die beiden hatten intensive Gespräche geführt über Männerfreundschaften, Männerbünde und die gemeinsame Leidenschaft für die Musik. Boulez hatte beklagt, wie viel Energie man dieser Hauptaufgabe doch wegnehme durch Probleme, wie sie eine Partnerschaft mit sich zu bringen pflege. Er bekannte sich zur Homosexualität, wollte sie aber nicht ausleben – also blieb er enthaltsam. Stockhausen bewunderte ihn für seine Disziplin und Konsequenz, machte aber deutlich, dass eine solche Askese für ihn nicht in Frage komme. Er wolle nicht ohne den Austausch mit einer Frau leben, ohne das Du auch im ganz physischen Sinn. Eine solche Partnerschaft rege ihn ja auch zum Musikmachen an.
    Sie hatten auch über Boulez’ Atheismus, Stockhausens Gottesglauben und meinen Pantheismus diskutiert. Karlheinz war von diesen Gesprächen so aufgewühlt, dass er sich wieder einmal eine Zeit nur zu zweit mit mir wünschte. Meine Schwester Suse und meine Mutter erklärten sich bereit, Jule in Kürten zu betreuen. Beide sollten zeitlebens enge Bezugspersonen für sie bleiben.
    Ich flog nach Paris. Wir wohnten im Hotel Pas de Calais und konnten ohne jegliche Pflichten die Stadt zu zweit genießen. Es war sonniger Frühherbst, wir schlenderten durch Parks, besuchten Museen und tauschten uns aus. Karlheinz besprach mit mir alle Themen seiner Woche mit Boulez. Wir sahen uns auch einen bewegenden Liebesfilm von Claude Lelouch an, Ein Mann und eine Frau , heute ein Filmklassiker der Nouvelle Vague. Die Titelmelodie, die zu einer der berühmtesten der Kinogeschichte werden würde, blieb uns noch lange Jahre im Kopf, wir stimmten sie in Zeiten fröhlicher Ekstase gemeinsam an, aber auch dann, wenn wir

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