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Ich haette dich geliebt

Ich haette dich geliebt

Titel: Ich haette dich geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Haferburg
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geordneten Verhältnisse seien. Aber das war eine Grenze, die ich nicht überschritt.

    Kurz vor vier klingelte ich bei dem Bestattungsinstitut. Eine Frau öffnete mir und strahlte mich an, als sei ich der Grund für eine Überraschungsparty. Ihr rotes Wickelkleid war eindeutig zu aufreizend für einen Ort der Trauer. Ich stellte mich vor und schüttelte ihre zierliche Hand.
    „Damter. Schön, dass Sie gekommen sind.“
    Sie trat einen Schritt zur Seite und bat mich hinein. Innen war alles weiß getüncht und es roch nach Holz. War das der Geruch von Särgen? Ich folgte ihren schwingenden Hüften und wir setzten uns gegenüber.
    „Clarissa, darf ich Ihnen sagen, dass ihr Vater ein sehr guter Mensch war. Ich weiß, Sie kannten ihn nicht, und ich weiß nicht viel über Ihre Familiengeschichte, aber ich bin sicher, dass er sich gefreut hätte, Sie hier zu wissen.“
    Mir fiel beim besten Willen nicht ein, was ich dazu sagen sollte. Es war genau das, was ich befürchtet hatte.
    „Er starb viel zu früh. Er hatte Krebs. Ich habe einen Brief für Sie. Von ihm geschrieben. Sie bleiben doch bis zur Beerdigung?“
    „Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, denn ich habe ein Leben und einen Job und ich weiß nicht genau, ob ich Zeit habe.“
    Frau Damter schien verstört, blieb aber freundlich.
    „Ich kann mir vorstellen, dass das alles nicht so einfach für Sie ist. Aber dass Sie gekommen sind, zeigt doch, dass es Sie ...“
    „Nicht kalt lässt? Oder was wollten Sie sagen? Hatte er keine Familie, die sich jetzt um alles kümmert? Kinder? Was man halt so hat.“
    „Sie sind die einzige Angehörige. Soviel ich weiß. Und er hat sich bereits um alles gekümmert. Es ging ihm um den Brief und um ein Bild, was er gemalt hat. Möchten Sie denn seine Wohnung nicht sehen?“
    „Wenn das sein muss. Er war also Künstler?“
    „Naja, nicht so richtig. Es gab sogar mal eine Ausstellung im Rathaus. Aber leben konnte er davon nicht.“
    Ich hatte schon genug gehört. Der sympathische Louis Kampen, ein verhinderter Künstler. Und wieso sollte er schon zu früh verstorben sein? Wenn er mindestens so alt war wie meine Mutter, hat er ein langes Leben gehabt. Irgendwann ist für alle Schluss. Frau Damter ging voller Elan neben mir her und erzählte mir, wie schön alles geworden sei, nach der Wende. In der ganzen Aufregung hatte ich übersehen, dass ich mich in einem Teil der ehemaligen DDR befand. Es gab keinen offensichtlichen Unterschied zu irgendeiner anderen Stadt im Westen. Keinen, den man hätte sehen können.
    Zehn Minuten später standen wir vor einem kleinen zweistöckigen Haus. Grau verputzt und viereckig wie eine Ritter-Sport-Schokolade. Wahrscheinlich wurde es in den Achtzigern gebaut. Alles nach praktischen Gesichtspunkten.
    „Hier ist der Schlüssel. Ich lasse Sie jetzt allein. Schauen Sie sich in Ruhe um. Wenn Sie doch etwas mitnehmen wollen, dann lassen Sie es mich später wissen. Den Rest sortiert die Caritas aus.“
    Sie nickte mir aufmunternd zu und ließ mich stehen.
    „Und der Brief?“
    Ich musste fast schreien, damit sie mich noch hörte.
    „Ah ja, den gebe ich Ihnen, wenn Sie zurückkommen ... der ist in meinem Büro. Haben Sie für heute Nacht schon eine Unterkunft?“
    „Nein, ich wusste nicht, ob ich bleibe.“
    „Ich kümmere mich darum. Bis nachher.“
    Frau Damter verschwand winkend hinter der Ecke. Ihre unerschütterliche Freundlichkeit ärgerte mich.

    Was würde meine Mutter sagen, wenn sie mich hier im Haus dieses Mannes sähe? Erleichterung? Vielleicht hat sie sich immer gewünscht, dass ich sie auf ihre Vergangenheit ansprach. Dass ich das Eis endlich brach. Vielleicht wollte sie gar nicht schweigen.
    Zögerlich schloss ich die Haustür auf. Es roch nach frischer Farbe. Hatte er etwa noch den Flur gestrichen, bevor er gestorben war? So nach dem Motto: Wenn meine verlorene Tochter kommt, muss alles schön ordentlich sein. Der Flur war dunkel. Ich tastete nach einem Lichtschalter. Die erste Überraschung war die Lampe. Sie sah selbstgebastelt aus. Ein Metallring fasste sechs Cola-Flaschen, in denen Glühbirnen steckten. Das war nicht neu, sah aber lustig aus. Der helle Fußboden war mit Laminat ausgelegt. Ein gewaltiger Spiegel mit goldenem Rahmen schmückte die Wand. An einem Kleiderhaken in Form eines Ankers hing eine Jacke. Dunkelblau und nicht besonders groß. Auf dem Stehkragen stand das unlesbare Logo des Herstellers. Innen lugte das karierte Futter heraus. Eine Art Wachsjacke. Ich starrte

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