Ich haette dich geliebt
auf die Jacke und tippte sie leicht an, so dass sie ein kleines bisschen hin- und herpendelte. Darin ist er umherspaziert. Komisch.
Im Wohnzimmer standen ein alter Fernseher, ein hellgraues Sofa mit Lederkissen und ein Glastisch. Fast gemütlich. In die Ecke quetschte sich ein Schreibtisch mit einem Computer. Mich verwunderte, dass ein Mann im Alter meiner Mutter noch mit einem Computer umgehen konnte.
Drumherum lagen akkurat gestapelte Zeitschriften. Die meisten waren Reise- und Kunstzeitschriften. Ein selbstgezimmertes Regal trug schwer an den vielen Büchern, die alle sehr alt aussahen. Der ganze Raum wurde von einem überdimensionalen Bild dominiert: Einer weißen Leinwand mit einem chaotischen Kreis, der mich an ein verunglücktes Spiegelei erinnerte. Das Ganze war mit dicker Acrylfarbe aufgetragen worden. Auch auf dem Fußboden standen lauter halbfertige Kunstwerke, die alle sehr bunt aussahen. Auf den wenigsten war etwas zu erkennen. Ich hatte es hier also mit einem abstrakten Künstler zu tun. Die Bilder gefielen mir nicht. Auf mich wirkten sie laienhaft.
Hellblaue Gardinen verdeckten die Plastikfenster. Gardinen! Das macht doch kein normaler Mann. Obwohl: Kai hatte auch Vorhänge mitgebracht. Die ich allerdings unter wüsten Beschimpfungen verschmäht hatte. Mit wutentbranntem Gesicht hatte ich ihm klar gemacht, wohin er sich seine Häuslichkeit stecken konnte. Ich muss hässlich ausgesehen haben.
Die kleine verwinkelte Küche ließ ich links liegen. Sehr benutzt sah das nicht aus. Eine Treppe führte ins zweite Obergeschoss. Hinter einer schmalen Tür fand ich das Schlafzimmer. Ein schöner alter Eichenschrank beherbergte eng aneinander gehängte Kleidungsstücke. Ich hatte mir immer eingebildet, dass Männer im fortgeschrittenen Alter allesamt beigefarbene Cordhosen trugen. Er schien davon nichts zu halten, denn ein Anzug reihte sich an den nächsten. Obenauf lagen drei Hüte, die alle gleich aussahen und schwarz vor sich hin glänzten. Der Fußboden wurde von einem Schafsfell bedeckt. Ein Futonbett ohne jeden Schnickschack trohnte mitten im Raum. Als ich schon fast aus dem Zimmer gehen wollte, entdeckte ich etwas, dass mich innehalten ließ. Hinter der Tür hing ein Foto.
Meine Mutter Marlene war darauf abgebildet!
Was machte ein Foto meiner Mutter in diesem Zimmer? Erst langsam dämmerte mir wieder, wo ich war. Aufgehängte Fotos zeigten doch Menschen, die einem etwas bedeuteten? Oder hatte er es einfach vergessen abzunehmen? Oder wieder aufgehängt, weil er wusste, dass ich mir seine Wohnung anschauen würde? Ich nahm das Foto von der Wand und streichelte es. Es musste vor meiner Geburt entstanden sein. Hinter meiner Mutter war ein Radverleih zu sehen. Der hatte ihr gehört, lange bevor sie sich im Geschäft anstellen ließ. Sie trug ein weißes altmodisches Kleid mit schwarzen Punkten und sie posierte kokett. Ihr Gesicht verriet pure Lebensfreude. Ich musste wieder heulen. Sie fehlte mir so. Ich nahm das Foto und steckte es samt Rahmen in die Tasche.
Wer war dieser Mann? Die Wohnung verriet nicht viel. Ein mittelgroßer Mann mit einer Vorliebe für feinen Zwirn. Und er war gerissen, denn, um sich in ein besseres Licht zu stellen, hatte er ein Foto meiner Mutter an die Wand gehängt. So, als hätte er sie nie vergessen. Es war doch lächerlich, dass er mich glauben machen wollte, dass er auch nach fast vierzig Jahren an meine Mutter gedacht hatte.
Um nichts zu übersehen, ging ich doch noch in die Küche. Außer ein paar Gewürzen und Nudeln gab es nichts Essbares. Wahrscheinlich hatte jemand alles entsorgt, bevor es zu schimmeln begann. Außer dem Foto von meiner Mutter konnte ich hier nichts gebrauchen.
Das Bestattungsinstitut fand ich nach einigem Suchen wieder.
„Ich möchte ihn sehen!“
Ich war mir ganz sicher.
„Es steht Ihnen zu. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass Ihr Vater schwer krank war. Und sehr dünn. Das ist nicht wirklich er, der da liegt. Wollen Sie ihn so das erste Mal sehen? Es gibt Fotos.“
Frau Damter sah mich an. Ohne zu blinzeln und mit leicht gespitztem Mund. Ich zögerte.
„Ich kann Ihnen gern eins zeigen. Kommen sie erst mal rein.“
Wie ein Vorschulkind setzte ich mich auf die Kante des Sessels. Frau Damter kam mit einem Foto zurück.
„Hier, das war bei einem Stadtfest. Louis hat Musik gemacht. Na eigentlich hat er auf Geschirr getrommelt. Er hatte immer so verrückte Ideen. Bekannt wie ein bunter Hund. Und sehr belesen. Ja, das war er. Manche
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