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Ich haette dich geliebt

Ich haette dich geliebt

Titel: Ich haette dich geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Haferburg
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paar Zentimeter ab, dann ist es realistisch.“
    Ich bedankte mich und verschwand in der Kabine. Sie duzte mich. Ich hatte nichts dagegen, aber es war ungewöhnlich. Das Kleid passte perfekt. Mit einem guten BH wäre es sogar sexy. Das wollte ich bestätigt wissen und stolzierte aus der Kabine.
    „Und?“, fragte die Verkäuferin.
    „Passt gut, finde ich. Allerdings weiß ich nicht, ob es zu tief ausgeschnitten ist, für eine Beerdigung.“
    „Für eine Beerdigung? Ehrlich gesagt, ja. Zieh ein Top drunter.“
    „Habt ihr so etwas?“
    Ich versuchte das persönliche Du zu umgehen, indem ich in den Plural wechselte.
    „Nein, aber das gibt es doch überall, wenn du so was nicht schon hast.“
    „Was kostet das Kleid überhaupt?“
    „Zweihundert, also einhundertneunundneunzig. Teuer, was? Ist nicht im Ausverkauf, das ist schon aus der neuen Kollektion für den Herbst.“
    „Naja, es ist schön und es ist ja ein besonderer Anlass.“
    „Besonderer Anlass“ im Zusammenhang mit einer Be-erdigung war wohl unpassend. Die Verkäuferin unterdrückte ein Lachen. Ich grinste und wir prusteten los. Mir fiel auf, dass nicht nur ihr Mund, sondern ihr ganzes Gesicht in Bewegung war, so als ob das helle Lachen auch aus den Nasenlöchern oder ihren Augen hätte kommen können.
    „Ich nehme es.“
    „Gern. Du bist nicht von hier? Oder du findest unser Schaufenster langweilig? Oder du nähst selbst? Hier gibt es nur den einen Laden, in dem man etwas Anständiges zum Anziehen bekommt. Etwas ohne Querstreifen und so ...“
    „Mein Vater hat hier gelebt. Jetzt ist er gestorben. Ich bin hier wegen der Beerdigung.“
    Sie neigte ihren Kopf leicht verunsichert zur Seite.
    „Das tut mir leid.“
    „Muss es nicht zu sehr, ich kannte ihn ja nicht einmal. Naja, lange Geschichte.“
    „Ich bin übrigens Luise. Gestatten.“
    Sie machte einen Knicks und hob die Hand, als zöge sie einen Hut. Luise strahlte eine Lebendigkeit aus, die ansteckend war. Ich hätte am liebsten noch etwas gekauft, um nicht wieder gehen zu müssen. Doch eine ältere Dame betrat das Geschäft. Luise packte mein neues Kleid sorgfältig in Seidenpapier und gab mir die Tüte.
    „Hast du Lust, was trinken zu gehen? Wenn du hier niemanden kennst, zeig ich dir die Stadt?“
    „Wann habt ihr Feierabend?“
    „Wenn du mit ‚ihr‘ mich meinst, um sieben. Hoffentlich fühlst du dich jetzt nicht verpflichtet – einer gelangweilten Verkäuferin die Zeit zu vertreiben?“
    „Ja schon, aber jetzt ist es zu spät. Da komm ich nicht mehr raus, ohne unhöflich zu sein.“
    Wir winkten uns kurz zu. Und Luise versorgte die ältere Dame mit Twin-Sets.

    Luise und Louis. Ein komischer Zufall. Ich hatte noch eine Stunde Zeit. Die wollte ich nutzen, um den Brief weiterzulesen, obwohl ich immer noch starke Bedenken hatte, ob es eine gute Idee war, mich auf die Geschichte meiner Eltern einzulassen.

    Clara, da bin ich wieder. Ich habe geträumt. Wovon weiß ich nicht mehr. Deine Mutter konnte sich an all ihre Träume erinnern. Das muss man sich mal vorstellen. Manchmal dachte ich, sie flunkert, aber so verrückt kann man gar nicht denken. Einmal erschien ich ihr im Traum. Ich saß auf einem Thron, gekleidet wie ein Weihnachtsmann. Ich habe gesungen. Was, das wusste sie nicht mehr.
    Kann mir mal einer sagen, was das soll? So ein Unsinn. Lange, nachdem ich sie verloren hatte, Deine Mutter, habe ich ein Bild gemalt. Ich habe ihr Gesicht auf einer riesigen weißen Leinwand verewigt. Die Striche habe ich so angeordnet, dass man all ihre verschiedenen Gesichtsausdrücke sehen konnte, je nachdem wie man draufschaut. Mein Freund, der Karl, hat das Bild gesehen — und weißt Du, was er gesagt hat? Riesengroßer Quatsch sei das Bild. Er kann froh sein, dass er noch lebt. Jetzt bin ich ihm nicht mehr böse. Der Tölpel konnte ja nicht wissen, worum es eigentlich ging.
    Wie komme ich darauf? Ach ja, es war wegen der Träumerei. Es war das einzige Mal in meinem ganzen Leben, dass ich mich an einen Traum erinnern konnte. Marlene kam darin vor. Ihr Gesicht lachte und weinte und schrie und lachte und weinte abwechselnd. Als ich aufwachte, hatte ich das dringende Bedürfnis, alles festzuhalten. Ich habe nicht so viel Talent, aber das ist mir gut gelungen. Nimm es mit. Und stell es in den Keller oder so was. Aber wegkommen soll es nicht.

    Das Spiegelei? Ich wusste nicht mal mehr genau, wie es ausgesehen hatte. Von mitnehmen konnte keine Rede sein. Außerdem gefiel es mir nicht, dass mir

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